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02.06.2022

Denkmalpreis 2022 für Erhalt alter Baukultur

Drei Vorbilder  ausgezeichnet

Im Rahmen der Stadtverordnetensitzung wurde am 2. Juni der Denkmalpreis 2022 der Universitätsstadt Gießen durch den Magistrat verliehen. Mit diesem Preis werden seit 2018 Denkmaleigentümer in der Stadt Gießen ausgezeichnet, die in vorbildlicher Weise und mit großem ideellem und finanziellem Aufwand Kulturdenkmäler erhalten und pflegen.

Eine Jury aus Mitgliedern des Denkmalbeirats, Mitarbeitern der Unteren Denkmalschutzbehörde Gießen und des Landesamt für Denkmalpflege Hessen, besetzt mit Fachleuten aus den Bereichen Kunstgeschichte, Architektur und Denkmalpflege, hat nach denkmalfachlichen Gesichtspunkten entschieden. Der Preis besteht aus einer Bronzeplakette, die am Kulturdenkmal angebracht wird. Ein Geldpreis ist mit der Auszeichnung nicht verbunden. Die ausgezeichneten Sanierungsmaßnahmen wurden während der Preisverleihung in einem Dokumentarfilm vorgestellt.

Ausgezeichnet wurden in diesem Jahr Preisträger aus drei verschiedenen Kategorien: ein Fachwerkwohnhaus, ein Klinikgebäude und ein Post- und Fernmeldegebäude. Sie repräsentieren ganz unterschiedliche Bautechniken, Baustile und Nutzungen: Von traditioneller Fachwerkarchitektur für ein Eigenheim über einen repräsentativen Postbau mit aufwendig gestalteter Fassade aus lokalem Sandstein bis hin zu Putzbauten wie das ehemalige Telegraphenamt und die Heilstätte Seltersberg, die Ende der 1920er Jahre entstanden und den Aufbruch in eine neue sachliche Architektur dokumentieren. Wie Oberbürgermeister Frank-Tilo Becher in seiner Einführung betonte, haben alle Preisträger in enger Abstimmung mit der städtischen Unteren Denkmalschutzbehörde und dem Landesamt für Denkmalpflege Hessen die historische Bausubstanz nach Vernachlässigung oder späteren, die Substanz nicht respektierenden Veränderungen wieder freigelegt und denkmalgerecht saniert. Sie haben in ihrem jeweiligen Bereich Vorbildcharakter für andere Bauträger oder Eigentümer von historischen Gebäuden.

[Ergänzung vom 03.06.2022 - die Preisträger und das Video mit der Vorstellung der ausgezeichneten Objekte]

Denkmalpreisträger 2022 im Rathaus von links nach rechts: OB Frank-Tilo Becher, Kai Laumann (Preisträger Alte Post), Raphael Kückmann (Jury Denkmalbeirat), Christine Hink-Kneip (Preisträgerin UKGM), Klaus Leithäuser (Jury Denkmalbeirat), Cornelia Piotrowski (Preisträgerin Alten-Busecker Str. 1), Prof. Nikolaus Zieske (Jury Denkmalbeirat), Daniel Hörr (Preisträger UKGM), Dr. Gunther Weiss (Preisträger UKGM).
Denkmalpreisträger 2022 im Rathaus von links nach rechts: OB Frank-Tilo Becher, Kai Laumann (Preisträger Alte Post), Raphael Kückmann (Jury Denkmalbeirat), Christine Hink-Kneip (Preisträgerin UKGM), Klaus Leithäuser (Jury Denkmalbeirat), Cornelia Piotrowski (Preisträgerin Alten-Busecker Str. 1), Prof. Nikolaus Zieske (Jury Denkmalbeirat), Daniel Hörr (Preisträger UKGM), Dr. Gunther Weiss (Preisträger UKGM).

 

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Die Objekte 2022

Alten-Busecker Straße 1

In der Kategorie Fachwerkwohnhaus wird Frau Cornelia Piotrowski mit dem Denkmalpreis 2022 ausgezeichnet.

Das traufständige Fachwerkhaus aus dem 18. Jh. liegt prominent in unmittelbarer Nähe zum Torturm, der sog. Wiesecker Poart (=Pforte), die früher die einzige Einfahrt in den Ort Wieseck war. Die Eigentümerin ließ das Wohnhaus aus Familienbesitz grundlegend sanieren, dessen Denkmalbestand durch langjährige Vermietung und viele Umbauten und Veränderungen gefährdet war.

Unter größtmöglicher Erhaltung der Originalsubstanz wurde das ursprünglich auf Sicht angelegte Fachwerk fachgerecht freigelegt und nach restauratorischer Untersuchung farblich neu gefasst. Die nachträglich eingebauten, viel zu großen ungegliederten Fenster wurden wieder auf das ursprüngliche Maß reduziert und als Sprossenfenster ausgeführt, die Haustür denkmalgerecht aus Holz neu gefertigt, so dass sich heute ein harmonisches Gesamtbild ergibt. Auch die Sanierung der Innenräume erforderte viel Maßarbeit und individuelle Lösungen - im Ergebnis hat das Haus wie die Eigentümerin den Jurymitgliedern bestätigte, eine hervorragende Wohnqualität, gerade durch die denkmalgerechte Verwendung natürlicher, traditioneller Baustoffe. Die Preisträgerin hat einen wichtigen Beitrag zur Erhaltung des historischen Ortskerns von Wieseck geleistet und es ist zu hoffen, dass von dieser Sanierung eine große Vorbildwirkung ausgeht z.B. für weitere Fachwerksanierungen in Wieseck.

Ehemalige Heilstätte Seltersberg – Seltersberg Haus B

In der Kategorie Klinikgebäude geht der Preis an das Universitätsklinikum Gießen und Marburg GmbH.

Die Heilstätte Seltersberg für Tuberkulose der oberen Luftwege wurde 1928-30 im Auftrag des Hessischen Landesverband zur Bekämpfung der Tuberkulose in exponierter Lage auf dem Seltersberg nach Plänen des Gießener Baurats Hans Meyer erbaut. Nach jahrzehntelanger Nutzung und leider auch unsachgemäßen früheren Sanierungen wurde das Gebäude 2018-21 vom Architekturbüro HDR Germany und dem Geschäftsbereich Bau und Technik des UKGM denkmalgerecht generalsaniert und zum Fachärztezentrum umgebaut.

Die aufwendige Sanierung der Fassaden ist aus denkmalpflegerischer Sicht äußert gelungen, nicht zuletzt durch die weitgehende Wiederherstellung des gut dokumentierten bauzeitlichen Erscheinungsbilds. Die prägenden Fenster wurden nach historischem Vorbild detailgetreu nachgebaut und die wenigen aus der Bauzeit erhaltenen sorgfältig restauriert. Auch wenn der originale Kratzputz aufgrund eines ungeeigneten früheren Farbauftrags abgenommen und erneuert werden musste, so konnten durch restauratorische Untersuchungen die Farbgestaltung originalgetreu wiederhergestellt und das gestaltprägende Betonwerksteindekor und die architektonischen Zierelemente herausgearbeitet werden. Prägend für das Klinikgebäude sind zudem die bauzeitlichen, expressiv gestalteten Einzelbalkone auf der Nordseite, die erhalten werden konnten, sowie die filigranen Südbalkone vor den ehemaligen Krankenzimmern für die Licht-, Luft- und Sonnenbäder, denen ehemals eine wesentliche Rolle im Heilprozess zukam. Diese wurden detailgetreu nachgebaut und erhielten eine kaum wahrnehmbare Erhöhung und einen innenseitigen Überkletterschutz, um heutigen Sicherheitsansprüchen nachzukommen.

Hervorzuheben ist auch der Nachbau der Haupteingangstür nach bauzeitlicher Vorlage und aller weiterer Nebeneingangstüren. Von der ursprünglichen dekorativen Innenausstattung ist nach über 80 Jahre fortdauerndem Klinikbetrieb heute wenig erhalten. Beeindruckend ist die Eingangshalle im Erdgeschoss mit dem repräsentativen offenen Treppenhaus und dem Bodenbelag und den Wandverkleidungen aus Lahnmarmor, die aus einem Restblock des heute nicht mehr abgebauten Steinmaterials vorbildlich ergänzt wurden. Durch die Entfernung der unpassenden Beläge auf den Treppenstufen und dem Einbau von dezenten Sicherheitsverglasungen anstatt der früheren Einhausungen der Treppenläufe kann die fein gestaltete steinsichtige Treppenanlage nun wieder zur Geltung kommen.

Die denkmalgerechte Sanierung durch das Universitätsklinikum Gießen und Marburg GmbH hat einen wertvollen Beitrag zum Erhalt eines wichtigen stadt- und sozialgeschichtlichen Bauzeugnis der 1920er Jahre geleistet, von dem zudem eine vorbildliche Außen- und Signalwirkung für weitere Sanierungen auf dem Klinikgelände ausgeht.

Alte Post – Ehemaliges Telegraphenamt

Die Alte Post und das ehemalige Telegraphenamt in der Bahnhofstraße 91 wurden in der Kategorie Post- und Fernmeldegebäude ausgezeichnet.

Das neugotische, ursprünglich aus einem Mittelteil und zwei seitlichen Kopfbauten errichtete spätere Kaiserliche Postamt wurde 1862/63 von Fürst Maximilien Karl von Thurn und Taxis in unmittelbarer Nähe des Hauptbahnhofs Gießen erbaut. Aufgrund der zunehmenden Bedeutung der Telegraphie- und Fernsprechvermittlung folgte 1899 nach Nordosten symmetrisch ein Erweiterungsbau in gleichartiger Architektur und Formensprache aus roten Sandsteinquadern, so dass ein langgestreckter Baukörper mit drei mächtigen Staffelgiebeln entstand. 1927-29 erbaute die Oberpostdirektion im Hinterhof des Postamts ein Fernmeldegebäude mit hohem Mansardwalmdach und farblich dekorativ gestalteter Putzfassade mit expressiv gestalteten Eingangsportalen.

Diese Gebäude zählen zum wichtigsten Denkmalbestand der von Kriegszerstörungen stark gezeichneten Stadt Gießen. Mit großer Sorge wurde der zunehmende Verfall verfolgt, seitdem die Deutsche Bundespost als letzter Nutzer 1994 die Gebäude aufgab und 1998 verkaufte. Nach diversen Eigentümerwechseln entwickelte der Wettenberger Unternehmer Kai Laumann schließlich ein mutiges Revitalisierungskonzept. In enger Abstimmung mit der Denkmalpflege setzte er mit dem Büro Moos Planung GmbH eine bestandsorientierte und denkmalkonforme Neunutzung für Freizeitgastronomie, Wissenschaft, Gesundheit und Dienstleistungen um.

Die aufwendige Generalinstandsetzung erfolgte auf Grundlage einer genauen Bestands- und Schadenserfassung und eines restauratorisch-bauhistorischen Gutachtens.

Die fachgerechte, vom Landesamt für Denkmalpflege Hessen finanziell geförderte Sanierung der prägnanten, durch Setzungen, Risse, Substanzverluste stark geschädigten Sandsteinfassade der Alten Post bildet sicher den offensichtlichsten und beeindruckendsten Beitrag für die Wiederherstellung des historischen Erscheinungsbilds. Die behutsame Reinigung, Restaurierung und Neuverfugung sowie der Einbau passender Ersatzsteine aus einem lokalen Steinbruch bewahren die Spuren der Zeit - z.B. die Verschmutzungen durch die Dampflokomotiven des benachbarten Bahnhofs. Neben der umfassenden, bestandserhaltenden Dachsanierung und Neueindeckung mit Schiefer wurden ca. 100 historische Fenster restauriert und nur sehr wenige ebenso wie die nicht erhaltenen Außentüren nach historischer Vorlage detailgetreu rekonstruiert. Trotz weitgehendem Verlust der historischen Innenausstattung durch frühere Eingriffe konnten z.B. die Deckenkonstruktionen, Klappläden, gusseiserne Stützen erhalten und wie die historischen Treppenhäuser nach bauzeitlichem Befund saniert werden.

Die Instandsetzung der gesprossten und mit aufwendiger Lüftungsmechanik ausgerüsteten ca. 100 bauzeitlichen Kastenfenster des ehemaligen Telegraphenamts stellte eine besondere Herausforderung dar. Die Sicherung und Restaurierung des historischen Dachstuhls, eine Schieferneueindeckung, der Erhalt der Originalputzfassade und Neufassung nach bauzeitlichem Befund belegen die denkmalgerechte Sanierung. Hervorzuheben ist zudem die den ursprünglichen Raumcharakter erhaltende Umnutzung der imposanten, zwei Stockwerke hohen Fernmeldezentrale zu einem Veranstaltungs- und Medienzentrum.

Mit Einfühlungsvermögen in die alte Bausubstanz, Engagement und einer Aufgeschlossenheit gegenüber den denkmalfachlichen Empfehlungen hat Herr Laumann nicht nur einen sehr wertvollen Beitrag zum Erhalt und Rettung zweier bedeutender Bauwerke und wichtigen Zeugnisse der Technik- und Stadtgeschichte geleistet, sondern auch einen attraktiven Anziehungspunkt am Bahnhofsvorplatz geschaffen. Die Sanierungsmaßnahme erzielt zudem eine vorbildliche Außen- und Signalwirkung.

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