Rathaus

Seiteninhalt
25.03.2017

Im Alter von 104: Gießens Ehrenbürger Bar Menachem ist tot

Dr. Avraham Bar Menachem
Dr. Avraham Bar Menachem
Dr. Avraham Bar Menachem, Gießener Ehrenbürger und Begründer der Städtepartnerschaft Gießen-Netanya ist am Freitagnachmittag im Alter von 104 Jahren in seiner Heimatstadt Netanya (Israel) gestorben. Der ehemalige jüdische Bürger Gießens, der im Holocaust aus Gießen fliehen musste, gilt als engagierter Brückenbauer und Wegbereiter der Annäherung und Aussöhnung zwischen dem jüdischen und dem deutschen Volk nach den Verbrechen der Nationalsozialisten. Er wirkte an der Bildung einer der ersten deutsch-israelischen Städtepartnerschaften insgesamt, der zwischen Gießen und Netanya im Jahre 1978, entscheidend mit. Oberbürgermeisterin Dietlind Grabe-Bolz würdigte Dr. Bar Menachem in einem Kondolenzschreiben an seine Familie als bedeutende Persönlichkeit, der ein herausragendes Versöhnungs- und Lebenswerk in Deutschland und Israel hinterlassen habe. Grabe-Bolz: „Gießen ist unendlich traurig über seinen Tod. Gießen ist gleichzeitig unendlich dankbar für das, was er hinterlassen hat, was er für uns getan hat. Er hat uns nach all dem Leid, das unser Land ihm, seiner Familie - allen europäischen Juden - angetan hat, die Hand zur Versöhnung gereicht und war damit Vorbild für alle Annäherung und Aussöhnung zwischen Deutschen und Juden, für den bis heute anhaltenden wichtigen Dialog zwischen Bürgern aus Netanya und Gießen.“

Gießen-Flagge vor dem Rathaus auf Halbmast
Gießen-Flagge vor dem Rathaus auf Halbmast
Bildplatzhalter 265
Bildplatzhalter 265

Stadt legt Kondolenzbuch aus

In seiner Geburtsstadt Gießen wird aus diesem Grund ab Samstag Halbmast geflaggt. Ab Montag liegt im Rathaus am Berliner Platz ein Kondolenzbuch aus, in dem sich Bürgerinnen und Bürger der Stadt eintragen und damit Abschied nehmen können.
Nach jüdischer Tradition wird Dr. Bar Menachem bereits am Sonntag in Netanya bestattet. Oberbürgermeisterin Grabe-Bolz und Stadtverordnetenvorsteher Egon Fritz werden an der Trauerfeier in Israel teilnehmen. In Gießen wird es zu späterer Zeit eine Trauerfeier geben, zu der die jüdische Gemeinde Gießen zusammen mit der Stadt einladen wird.

Bar Menachem wurde 1912 als Alfred Gutsmuth in Wieseck geboren. Dort verbrachte er Kindheit und Jugend. Nach seiner Schulzeit in Wieseck und an der Gießener Liebigschule studierte er Jura an der Gießener Universität. Als Jude wurde er von den mittlerweile an die Macht gelangten Nationalsozialisten nicht mehr zum Referandarsexamen zugelassen. Sein Doktorvater, Prof. Mittermaier, ermöglichte ihm jedoch noch die Promotion zum Dr. jur.
Anfang 1934 flüchtete Bar Menachem in richtiger Voraussicht des drohenden Unheils für die jüdische Bevölkerung nach Holland. Nach einer dortigen Tischlerlehre emigrierte er 1938 nach Palästina, wo er einen Kibbuz mit aufbaute. Schnell übernahm er, der bereits in Gießen 1930 der SPD beigetreten war, auch dort politische Verantwortung, wurde stellvertretender Bürgermeister und von 1967 bis 1970 und von 1974 bis 1978 Oberbürgermeister der 180.000-Einwohner-Stadt Netanya in Israel.
1978, 33 Jahre nach Ende des Massenmordes an den europäischen Juden, begründete Bar Menachem die Partnerschaft Netanyas mit seiner Geburtsstadt Gießen – eine der ersten israelisch-deutschen Partnerschaften. Ein Weg, der für die Juden Israels und auch für Bar Menachem selbst, der seiner eigenen Wurzeln gewaltsam entrissen wurde, kein leichter war. In ergreifenden persönlichen Reden hat der Gießener Ehrenbürger zu vielen Anlässen als Zeitzeuge geschildert, welch langer und steiniger Weg zwischen anfänglicher kompletter Abkehr und innerer Abwehr gegenüber Deutschland und seinem Geburtsort, über Zweifel und Misstrauen bis hin zu seiner gereiften Überzeugung nach Martin Buber, dass „nur Versöhnung auch Versöhnung bringt“, ihn dazu bewegt haben, als einer der großen Triebfedern den Dialog mit dem Volk der Täter wieder aufzunehmen.
Begonnen hatte die Wiederannäherung an seine Geburtsstadt mit einem Besuch des damaligen Oberbürgermeisters Gießens und späteren Hessischen Ministerpräsidenten Albert Osswald in Netanya 1960 und einem ersten Besuch Bar Menachems in Gießen 1964. Bis die Städtepartnerschaft im Jahre 1978 gegründet wurde, lagen lange Jahre der Vertrauensarbeit auf beiden Seiten.
Auch in der Folgezeit wirkte Bar Menachem unermüdlich für die Aussöhnung, gewann Mitstreiter und warb um Unterstützung für seine Arbeit – in Netanya und in Gießen. Er besuchte seinen Geburtsort und die hiesige jüdische Gemeinde regelmäßig – erst in den letzten Jahren war es ihm aufgrund seiner körperlichen Verfassung nicht mehr möglich, zu reisen.
Dr. Bar-Menachem wurde aufgrund seines Lebenswerkes 1987 das Ehrenbürgerrecht der Universitätsstadt Gießen verliehen. Zuvor war er 1982 mit der Hedwig-Burgheim-Medaille und 1983 mit dem Verdienstkreuz 1. Klasse des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland ausgezeichnet worden.

 

 

Newsletter

Bestellen Sie sich hier den Newsletter und bleiben Sie immer auf dem Laufenden.