Zensus-Ergebnis kommt auf weniger Einwohner - Gießen will dagegen klagen
Die Stadt Gießen will gerichtlich gegen die Feststellung ihrer Einwohnerzahl im Rahmen des Zensus 2022 vorgehen. Einen entsprechenden Dringlichkeitsantrag legt Oberbürgermeister Frank-Tilo Becher heute Abend (Donnerstag, 3. Juli 2025) der Stadtverordnetenversammlung zum Beschluss vor. Gießen will sich damit nun juristisch gegen die Hochrechnung des Hessischen Statistischen Landesamts (HSL) wehren. Dieses hatte die Einwohnerzahl Gießens um mehr als 6.000 Personen gekürzt. Da nach der Einwohnerzahl auch Gelder aus dem Finanzausgleich berechnet werden, rechnet die Stadt mit jährlichen Verlusten in Millionenhöhe. Nach derzeitigem Stand würde die Stadt ab 2026 rund 8,6 Mio Euro pro Jahr verlieren.
"Es ist für uns nach wie vor nicht nachvollziehbar, warum wir entgegen unseren eigenen Zahlen so viele Einwohnerinnen und Einwohner weniger haben sollten. Und es ist auch nicht akzeptabel, dass wir für offensichtliche Fehler die Rechnung bezahlen sollen", so OB Becher.
Da das HSL den ausführlichen Widerspruch der Stadt gegen die Feststellung der amtlichen Einwohnerzahl vor zwei Tagen zurückgewiesen habe und weiterhin die Differenz nicht sinnvoll erklären könne, bleibe nun nur noch die Klage, erklärte der OB den weiteren Weg. Weil dies eine wichtige Entscheidung sei, müssen die Stadtverordneten darüber befinden.
Die statistischen Ämter des Bundes und der Länder hatten im Jahr 2022 durch eine Erhebung (Zensus) die Bevölkerungszahl ermittelt. Diese Erhebung geschah allerdings vor allem durch einzelne Haushaltsbefragungen und anschließende Hochrechnung. Für die Stadt Gießen stellte das HSL die Einwohnerzahl zum 15.05.2022 mit 87.217 Einwohnern fest. Diese Zahl unterscheidet sich ganz erheblich von der, laut behördlichem Melderegister, zu diesem Stichtag gemeldeten 93.449 Einwohner in der Stadt - eine Abweichung von 6 Prozent. An die Korrektheit dieser Zahl mag die Stadt nicht glauben. "Diese Abweichungen sind für die Stadt Gießen nicht nachvollziehbar", stellt die von Becher eingebrachte Vorlage fest. Und: "Aufgrund fehlender Einblicke kann die Stadt selbst keinen Beweis führen, welche konkreten Abläufe und mathematischen Rechnungen zu dem offensichtlich verzerrten und fehlerhaften Ergebnis geführt haben", führt der OB darin aus.
Das vom Landesamt geforderte „Vertrauen in die Erhebungsvorgänge“ könne er ohne Belege nicht aufbringen. „Für einen jährlichen Verlust von fast neun Millionen Euro braucht es mehr als Vertrauen“, so Becher.
Eine These, wie es dazu kam, hat die Stadt: Corona-bedingt seien in 2022 viele Studierende nicht vor Ort gewesen. In diese Zeit sei die Befragung gefallen. Das habe zu falschen Ergebnissen geführt. Als Universitätsstadt mit der höchsten Studierendendichte in Deutschland sei Gießen deshalb extrem von dieser Ungenauigkeit betroffen, so die Argumentation, die nunmehr einem Gericht vorgetragen werden soll.