Leben

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Bärbel Weigand

Das ist mein Projekt/Verein, hier engagiere ich mich:

Werkstattkirche Gießen, www.werkstattkirche.de

Das begeistert mich, darum engagiere ich mich:

Jede/r kann für andere etwas tun. Es muss nicht perfekt, aber für den anderen hilfreich sein.
Der Weg zum Herzen eines Menschen läuft manchmal über die Reparatur seines Radiogeräts.
Der Dienst am Menschen ist in der Werkstattkirche genau so wichtig, wie Repapieren und Wiederverwenden. Nachhaltigkeit kann nur funktionieren, wenn sie die Menschen einbezieht und mitnimmt.


Werkstattkirche – ihre ökologische Dimension

Vorbemerkung
Der Auftrag der Werkstattkirche zur Gemeinwesenarbeit ist nur vermeintlich ein im Wesentlichen sozialer. Spätestens seit mit der Klimafrage klar ist, dass die ganze Welt nur als zusammenhängendes ökologisches System begriffen werden kann, sind alle Fragen des sozialen Lebens nicht ohne diesen Zusammenhang anzugehen. Verantwortung für die Umwelt wahrzunehmen, heißt deshalb auch immer Verantwortung für andere Menschen (letzten Endes für alle Menschen) zu übernehmen. Solch eine theoretische Einsicht ist aber sehr weit weg für Menschen, besonders von denen, die den Eindruck haben, dass auf sie kein Wert gelegt wird, dass sie „als überflüssig angesehen werden“, wie es eine Frau aus der Nordstadt formulierte. Besonders auch deshalb bewegt sich unsere ökologische Verantwortung und Arbeit im Rahmen des alltäglichen praktischen Lebens und seiner Probleme. Die im Folgenden beschriebene konkrete Ausgestaltung des Lebens und Arbeitens in der Werkstattkirche gibt immer wieder Anlass, Zusammenhänge, Folgen und Wirkungen auf die lokale und globale Umwelt ins Gespräch zu bringen.

Der Reparatur-Treff
Seit 6 Jahren findet zweimal monatlich der Reparatur-Treff in der Werkstattkirche statt. Die Zielsetzung, vor allem kaputte Elektro-Geräte durch fachgerechte Reparatur einer Wiederverwendung zuzuführen, ist ein wichtiger Beitrag zum Umweltschutz. Dass auch finanzschwächere Menschen dadurch Kosten sparen, ist ein gewollter Nebeneffekt. Wir zeigen ihnen, dass sie mit dem Reparaturauftrag an die Werkstattkirche einen sehr verantwortungsvollen Beitrag zum Umweltschutz leisten. Unsere ehrenamtlichen Reparateure (Wir nennen sie lieber Mitmach-Menschen) qualifizieren sich in dieser Gemeinschaft immer weiter und verfügen darüber hinaus mittlerweile über einen erheblichen Fundus an Ersatzteilen aus nicht mehr reparablen Geräten. Mit einem 3-D-Drucker und dem entsprechenden Knowhow lassen sich auch mechanische Ersatzteile selbst herstellen. So sind im Laufe der Zeit annähernd 1000 Geräte wieder in Stand gesetzt und vor der Müllzuführung bewahrt worden.
Außer einem kleinen „Ableger“ in Pohlheim ist uns in Mittelhessen kein vergleichbares Projekt bekannt. Unsere Reparateure sind ein tolles Team so unterschiedlicher Menschen, wie man es sich nur vorstellen kann. Gemeinsam ist ihnen die Abscheu gegen die „Wegwerf-Mentalität“ und die Freude am Reparieren.

Unser Mittagstisch – „food sharing“ und „food saving“ am gemeinsamen Tisch
Gemeinsam zu kochen und zu essen und dabei die Wertschätzung und den Genuss „abgeschriebener“ Lebensmittel zu erleben, ist Ziel unseres wöchentlichen Mittagstisches, zu dem wir neuerdings auch interessante Menschen des öffentlichen Lebens als Gesprächspartner einladen. Lebensmittel kommen von der Tafel und anderen Spendern. Wertschätzung und Achtung vor der Mühe derer, die sie angebaut haben und der Erde, die sie wachsen ließ, gebietet uns, nichts wegzuwerfen und Reste zu verteilen oder zu konservieren. Demnächst können wir in einem aus recycelten Treppenstufen gebauten Hochbeet selbst mit unseren Mitmach-Menschen Kräuter und etwas Gemüse anbauen und ernten.
Mit einer geschenkten Kelter stellen wir aus uns überlassenen Äpfeln, Trauben und anderem Obst zusätzlich Saft her. Das sonst nicht verwertete Obst bringt den Beteiligten durch ein wenig gemeinsame Arbeit ein sehr gesundes und schmackhaftes Getränk ein und dazu die Einsicht in den Wert der gewachsenen und gehegten Früchte, die sonst umgekommen wären, weil niemand sie ernten und verarbeiten wollte.

Gebrauchte Materialien – geschenkt zum Verschenken
In der Werkstattkirche liegt viel herum und es sieht oft sehr unaufgeräumt aus. Das trägt für viele dazu bei, sich bei uns „zu Hause“ zu fühlen. Auch ein guter Effekt! Wir sind aber mittlerweile zu einem weit über die Nordstadt hinaus reichenden Umschlagplatz für gebrauchte Gegenstände aller Art geworden. Und unsere großartigen Mitmach-Menschen können ja auch noch Elektrogeräte und Möbel etc. reparieren und dadurch der Wiederverwendung zuführen. So gibt es bei uns nichts, was es nicht gibt: Von der Einbauküche mit Inhalt bis zur Gitarre und vom Sofa bis zum Puppenhaus. Einen sehr großen Anteil hat Kleidung aller Art. Bei regelmäßigen Bring-Kunden wissen wir oft schon, wem die Sachen passen und wer diesen Stil bevorzugt. Diese „persönliche“ Atmosphäre lässt Menschen gern ihre Sachen bringen. Wenn Bärbel Weigand vom Kernteam der Werkstattkirche zu einer Besucherin des Mittagstisches sagt: „Ich hab da eine Hose, die an dir bestimmt toll aussieht. Das T-Shirt, das ich anhabe, ist auch von da“, dann ist die Hemmschwelle zumeist überwunden und wir sind gemeinsam mit unseren Mitmach-Menschen stolz darauf, dem „Konsum-Terror“ immer wieder Schnippchen zu schlagen. Übrigens in der Werkstattkirche muss niemand für irgendetwas Geld bezahlen. Spenden sind natürlich erwünscht.

Unsere Ausstattung – ein buntes Sammelsurium
Natürlich ist auch unsere Einrichtung nicht „alles nur geklaut“, dafür aber alles nur gebraucht: Möbel, Küche und alle Geräte, Töpfe, Pfannen, Besteck und Geschirr (das kann sogar für kurzfristigen Zusatzbedarf ausgeliehen werden, um Einweggeschirr zu verhindern). Wenn jemand sagt: „Die Kommode da ist aber schön. Die könnte ich gut gebrauchen“, dann heißt es oft: „Nimm sie mit, wir bekommen schon wieder eine rein!“. Und für kleinere Sachen, wie eine Topfpflanze, eine Porzellanfigur, eine Tasse oder eine Puppe gilt das allemal.

Das Außengelände – wird gerade viel grüner
Auch Pflanzen sind ja leider schon zu „Wegwerf-Artikeln“ geworden, nicht bei uns. Wir nehmen sie in Obhut und unsere Mitmach-Menschen päppeln sie wieder auf. Mehrere Ecken unseres Hofes sind dadurch begrünt und beblüht. Schon lange stört uns die Versiegelung des asphaltierten Hofes. Jetzt endlich haben wir drei Firmen gefunden, die uns ein Entsiegelungs- und Versickerungsprojekt sponsern. In einer erstmalig in Gießen geplanten befahrbaren Versickerungsmulde (mit Ökopflaster versehen) mit ca. 8 m³ Volumen in Kombination mit einer unterirdischen Rigole kann auch bei Starkregen das Oberflächenwasser des gesamten Parkplatzes auf dem Grundstück versickern und helfen, den Grundwasserspiegel zu halten. Wir gehen davon aus, dass die nicht zu übersehende Versickerungsmulde bei vielen unserer Besucher zu Fragen führt und damit Anlass zu einem Gespräch über Sinn und Zweck der Mulde gibt. Zur Straße hin wird der etwas unschöne Zaun durch eine Hainbuchen-Hecke nicht nur ergänzt, sondern gegenüber dem natürlichen Bewuchs optisch auch etwas unauffälliger.
Im hinteren unversiegelten Teil des Geländes pflegen wir eine „Blühwiese“ mit einigen Sträuchern, wie Jasmin und Rosen. Gerade haben wir dort noch zwei beim Discounter fast abgestorbene und deswegen entsorgte Apfelbäumchen gepflanzt.
Außerdem ist dort gerade das oben erwähnte Hochbeet aus von einer Bauschutt-Deponie geretteten Treppenstufen mit kleinen Absplitterungen als Ausbildungsprojekt von Azubis der IJB entstanden, in dem erste Pflänzchen sprießen. An den Mauern ringsherum gibt es etliche Insektenhotels, Vogelnistkästen und eine Fledermaus-Herberge.
Nach Fertigstellung der Hofentsiegelung wird ein für alle zugängliches „offenes Bücherregal“ in einem nicht mehr zu reparierenden hohen Kühlschrank auf dem Hof eingerichtet und aus dem Bücher-Fundus der Werkstattkirche bestückt. Ein kleines Team der Mitmach-Menschen wird die Pflege übernehmen.

Logistik
Unsere Transportmittel sind unsere recycelten Fahrräder und unsere zwei Bollerwagen. Mit ihnen bewältigen wir den größten Teil unseres regen „Warenverkehrs“ mit gebrauchten Gegenständen und Materialien. Wir und die anderen Mitmach-Menschen spüren dabei wieder unsere eigenen Kräfte und ihren Nutzen: Wir sparen Ressourcen, tun etwas für unsere Gesundheit und sind im Übrigen zumindest innerstädtischen Transportleistungen mit dem Auto auch vom Zeitaufwand her überlegen.

Weitere Aktivitäten
Sobald Temperatur und Wetterlage es erlauben, ziehen wir mit unseren Bollerwagen auf die Spielplätze der Nordstadt zu Bastel- und Spielaktionen mit Kindern. Im Gepäck haben wir gebrauchte Brett-, Karten- und Gesellschaftsspiele aus unserem Fundus und gebrauchtes oder ausgedientes Material zum Basteln. Aus alten Zeitungen entstehen Sonnenhüte, aus Korken kleine Schiffchen oder aus kleinen abgestorbenen Ästen und Wollresten kleine Kunstwerke. Das regt die Fantasie der Kinder an, fördert ihre Motorik und vermittelt ihnen eine Alternative zu industriell hergestelltem oft noch gesundheitsschädlichem Plastikspielzeug. Mit den Eltern und auch den etwas älteren Kindern und natürlich auch mit unserem Team der Mitmach-Menschen sprechen wir währenddessen über diese Fragen, erzeugen Nachdenklichkeit und knüpfen Kontakte für andere Teilhabe-Möglichkeiten.
Unser Highlight des letzten Jahres, das Nordstadt-Theater, handelte von der Zerstörung unserer natürlichen Lebensgrundlagen. Ein in Kooperation mit dem Stadttheater begonnenes Theater-Projekt mit Jugendlichen hat die Klimaveränderungen zum Inhalt.
Die Teilnahme der Werkstattkirche mit ihren Mitmach-Menschen an der jährlichen Wischmob-Aktion in der Nordstadt ist „Ehrensache“. Am „Stadtradeln“ sind wir über die Kirchengemeinde Gießen Nord beteiligt.

Zum Schluss
Sich für die Umwelt zu engagieren, an der Erhaltung der Lebensgrundlage aller Menschen mitzuwirken, macht Spaß, besonders wenn man es mit anderen zusammen tun kann. Es braucht dazu eine Verbindung zum eigenen Leben (1 m² Regenwald oder ein Baum in Kenia, an dem man sich mit irgendeiner Geldzahlung beteiligt wissen soll, reicht dazu nicht) und der Ausgestaltung lebendiger Beziehungen. Für viele ist es hilfreich, wenn sie sich dabei einem „Vorbild“ anschließen können. Wir und unsere Mitmach-Menschen der Werkstattkirche versuchen das. Was wir selbst nicht tun, brauchen wir auch niemanden zu empfehlen. Wenn ich aber mit dem Bollerwagen losziehe, ist schnell jemand da, der mit angreift. Ich brauche niemandem gebrauchte Klamotten zu empfehlen, wenn ich selbst nur neu Gekauftes trage.

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