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Ein schriftliches Ersuchen von Häuslebauer Liebig - Betreff: Abwasserregulierung

Der hier vorgestellte Brief Justus Liebigs (1803-1873) an den Bürgermeister Gießens vom 13. August 1842 ist ein kleiner Archivschatz. Einerseits, weil das Stadtarchiv - mit Verlaub - über keine bedeutende Liebig-Überlieferung verfügt; andererseits, weil das Schriftstück aus der Feder des bekannten Gießener Professors einen unterbelichteten Ausschnitt aus seinem persönlichen Leben und Umfeld in der Gießener Zeit (1824-1852) beleuchtet. So wendet sich der Chemiker angesichts des Vorhabens, ein Wohnhaus auf dem Seltersberg zu bauen, an die Stadtverwaltung, um von ihr einen Beschluss zur Fortsetzung der Kanalisierung der Chaussee (heute: Frankfurter Straße) in Richtung des Flusses Wieseck zu erwirken. Im Schlusssatz drängt Liebig zur Eile:

Schluss des Briefes von Liebig
Schluss des Briefes von Liebig

„Meine Keller stehen ferner in Gefahr, das ganze Jahr hindurch mit Wasser überschwemmt zu werden. (…) Euer Wohlgeborn ersuche ich noch ganz besonders des nahen Winters wegen diese für mich höchst wichtige Angelegenheit so rasch als möglich befördern zu wollen.“

Werfen Sie gern einen Blick in das originale Schriftbild, und behelfen Sie sich - wenn Ihnen die alte Schrift Probleme bereitet - mit einer Transkription:

Wieso fand Liebigs Petition in Forschung und Öffentlichkeit wenig Beachtung? Grund könnte sein, dass sie keiner Korrespondenz mit Weggefährten, Geschäftspartnern oder Verwandten entstammt, sondern einem amtlichen Vorgang zugeordnet war. Der Brief liegt hiermit außerhalb des Fokus von Wissenschaftsgeschichte und Editionsprojekten. Immerhin: Als historische Quelle wird das Stück seit geraumer Zeit in der Autographen-Sammlung des Stadtarchivs aufbewahrt und gelegentlich bei Führungen präsentiert. Über der Anrede hat die Sachbearbeitung der Bürgermeisterei einen Eingangsvermerk platziert. Er datiert vom 13. August 1842 und ordnet dem Schreiben Tagebuchnummer 1007 zu. Unser Archivschatz wurde ganz offenbar einer Akte entnommen - allerdings weiß niemand mehr so genau, welcher... Aber genug der Aktenkunde!

Liebig ist seit 1840 Ehrenbürger Gießens und tritt als Bittsteller nicht zurückhaltend auf, wendet er sich doch direkt an den Bürgermeister, um Alarm zu schlagen. Hierbei moniert er nicht nur die Gefährdung seines Bauprojekts durch knietiefes Wasser im Keller; er argumentiert auch geschickt, der Ausbau der Abwasserregulierung entlang der Chaussee liege „in dem Interresse der sich entwikelnden neuen Stadtanlage“ auf dem Seltersberg. Der Gemeinderat kommt nicht umhin, sich mit der Sache zu befassen. Jedoch vergehen nach der ersten Beratung elf lange Monate, bis alle Fragen geklärt sind. Die Mühlen der Bürokratie mahlen langsam … aber sie mahlen. Mitte Juli 1843 steht ein Vertrag, worin die Stadt dem berühmten Chemiker und seinem Nachbarn Müller den gewünschten Ableitungskanal Richtung Wieseck-Fluss in Aussicht stellt. Durch Liebigs Hofreite soll ein gewölbter Kanal fließen, der in einen offenen Graben mündet. Tatsächlich zieht die Familie Liebig bald darauf in das neue Haus.

Der Wert des Briefes von 1842 liegt nicht nur in seiner Autorschaft - er bringt uns Liebig als Privatmenschen und Gießener Bürger etwas näher und wirft ein Schlaglicht auf ein spannendes Kapitel Stadtgeschichte.

 

Quelle: Christian Pöpken/Stadtarchiv

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