Erleben

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Feuer und Flamme für diese Stadt. Das bewegte Gießen in den 80er Jahren

13.03.2020 bis 11.04.2021
Ort: Altes Schloss
Kosten:  Eintritt frei

Die Sonderausstellung widmet sich den neuen sozialen Bewegungen der Stadt in einem bewegten Jahrzehnt. Kern der Ausstellung ist eine Plakatsammlung aktiver und beteiligter Zeitzeug*innen von politischen Bewegungen der 80er Jahre. Die Plakate spiegeln Proteste, Themen und Aktionen dieser Zeit aus Gießen und der Region. Persönliche Erfahrungen vieler Gießener*innen bringen uns das Jahrzehnt näher.

Am Eingang der Ausstellung werden zentrale Ereignisse des Jahrzehnts mit historischen Fotografien in Erinnerung gerufen, eine Hörstation vermittelt den „Sound der 80er“ und Original Filmaufnahmen vermitteln konkrete Ereignisse aus Gießen.

Plakate, weitere Objekte und subjektive Berichte zeigen, welche Themen die Gießener*innen in dieser Zeit auf die Straße trieben: Frauenbewegung und Paragraph 218, Verkehr und Fahrradwege, Wohnungsnot und Stadtplanung, Atomkraft und Klimawandel sowie die Schwulen- und Lesbenbewegung wurden und werden in Gießen heiß diskutiert. Zahlreiche Akteur*innen setzten sich mit Demonstrationen, Festen und Aktionen für Veränderungen und das Vorankommen dieser Bewegungen ein. Ebenso werden die prägendsten Orte des „bewegten Gießens“ in Erinnerung gerufen, wie die besetzten Häuser oder die zentralen Treffpunkte der alternativen Szene. Was hat sich getan seit den 80er Jahren? Welche Relevanz haben die Themen heute noch?

Dieses Haus ist besetzt

Die Hausbesetzerszene entwickelte sich in den 70er Jahren in den deutschen Großstädten. Vor allem in Frankfurt, wo die Miet- und Grundstückspreise rasant anstiegen und die Bewohner*innen an den Stadtrand gedrängt wurden, bildete sich eine starke Hausbesetzerszene.

In Gießen gab es die ersten Hausbesetzungen ab 1971, da sich u.a. die Wohnungsnot verschärfte, obwohl zahlreiche Häuser leer standen. Bis in die 90er Jahre gab es mehr als 10 lang- oder kurzfristige Hausbesetzungen. Die bekanntesten Besetzungen in den 80er Jahren, in denen auch regelmäßig Treffen der alternativen und autonomen Szene stattfanden, waren die Alicenstraße 18 und die Südanlage 20. Gleichzeitig setzte sich die Stadtverwaltung Gießen zu dieser Zeit für den sozialen Wohnungsbau ein und brachte umfangreiche Sanierungsprozesse auf den Weg.

Im Jahr 2020 stehen Groß- und Universitätsstädte erneut vor einer Wohnungskrise: die Mieten steigen, Wohnraum wird knapper und die Grundstückspreise teurer. Auch die Stadt Gießen wächst stetig weiter, zusätzliche Wohnungsgebiete müssen erschlossen und neue Wohnungen gebaut werden.

"Gemeinsam sind wir stark"

Die Neue Frauenbewegung entwickelte sich aus der studentischen Bewegung Ende der 60er Jahre heraus. Immer mehr Frauen besuchten die Universität und mussten feststellen, dass frauenspezifische Themen dort kaum berücksichtigt wurden. Es war ein Einschreiten für die Selbstbestimmtheit der Frauen und für den Kampf der Gleichberechtigung in einer männerdominierten Gesellschaft. Die Abtreibungsdebatte zu Beginn der 70er Jahre gab der Frauenbewegung einen zusätzlichen Aufschwung und in den deutschen Städten bildeten sich autonome Frauengruppen und -zentren. Gemeinsam wurde diskutiert und demonstriert, aber auch getanzt und gefeiert. Das Private der Frau sollte zum Politikum werden.

In Gießen gründete sich die erste autonome Frauengruppe im Jahr 1973. Sie nahmen gemeinsam an bundesweiten Demonstrationen teil, setzten sich für die Frauenforschung an der JLU ein, machten sich gegen den § 218 und die Unterdrückung von Frauen stark. In den 80er Jahren fand zunehmend eine Institutionalisierung der Frauengruppen statt: Vereine gründeten sich und Frauen fanden Eintritt in die Kommunalpolitik.

Heute sind viele Errungenschaften der Bewegung für viele Frauen selbstverständlich, aber das Ziel der Gleichberechtigung von Mann und Frau ist immer noch nicht erreicht.

Plakat von 1987 - Frauen bestimmen selbst
Plakat von 1987 - Frauen bestimmen selbst

Vielfalt leben!

Die Studentenbewegung bewirkte ein neues Selbstbewusstsein von Lesben und Schwulen. „Raus aus den Löchern“ hieß die Parole. Homosexuelle Aktivist*innen kämpften für Sichtbarkeit und gegen Diskriminierung.

Die Schwulenbewegung engagierte sich vor allem für die Abschaffung des verhassten § 175, der sexuelle Handlungen unter Männern verbat. Auch die Lesben kämpften gegen Isolation und Vorurteile, waren aber stark in die Frauenbewegung integriert und hatten wenige Berührungspunkte mit der schwulen Community. Im Fokus der lesbischen Frauen stand etwa das Hinterfragen der geschlechtlichen Rollenverteilung. Für die Schwulen bildete der AIDS-Schock eine jähe Unterbrechung. Viele der Aktivisten engagierten sich ab Ende der 80er vor allem in der Prävention.

In einer neuen Generation der Homosexuellen finden beide Gruppen wieder zusammen. Heute verstehen sie sich als queer und ringen gemeinsam um die Akzeptanz aller sexuellen Orientierungen und Geschlechtsidentitäten. Die Bewegung ist in den Institutionen angekommen – die Etablierung des dritten Geschlechts oder die Ehe für alle zeigen es. Gekämpft wird trotzdem immer noch und immer wieder für Vielfalt und Toleranz.

"Alle strahlen, keiner lacht"

Die Bundesregierung verstärkte nach den Ölkrisen der 70er Jahre ihre Atompolitik, auch weil sie darin eine „saubere“ Alternative sah. Im Protest gegen diese Politik vereinigten sich die Aktivist*innen der Ökologie-Bewegung mit den Atomkraftgegner*innen und mobilisierten bald Hunderttausende.

Insbesondere in Gießen verband sich die Bewegung im Widerstand gegen die atomare Aufrüstung mit der Friedensbewegung. Die unmittelbare Nähe zum US-Depot, dem Lagerort der NATO-Nuklearwaffen, heizte die Ängste vor einem Atomkrieg zusätzlich an. Schließlich war die Reaktorkatastrophe von Tschernobyl 1986 auch in Gießen ein Schock: junge Mütter engagierten sich aus Angst um die Zukunft ihrer Kinder, die Öko-Gruppen von AStA und Grünen protestierten, „Ärzte gegen den Atomkrieg“ gingen auf die Straße. Und alle fuhren gemeinsam nach Wackersdorf.

Die Anti-Atomkraft-Bewegung prägte die Protestformen in der Bundesrepublik nachhaltig. Sie wirkte in große Teile der Bevölkerung hinein und konnte letztlich ihr größtes Ziel erreichen: den deutschen Ausstieg aus der Atomenergie. Heute ist sie in ihrer Vehemenz hinter den Kampf gegen den Klimawandel zurückgetreten, auch wenn Probleme wie die der Endlagerung atomaren Mülls nach wie vor ungelöst sind.

Statt Auto

Gießens Verkehrsführung war nach dem Wiederaufbau vor allem eines: autofreundlich. Es wurden Straßen verbreitert, Parkplätze geschaffen und letztlich der Fußgänger- und Radverkehr dem Autoverkehr untergeordnet. Im Zuge der Ökologiebewegung ab den 70er Jahren regte sich jedoch zunehmend Kritik an dieser Politik.

Verschiedene Aktivist*innengruppen engagierten sich für umweltfreundliche Alternativen zum Auto. Die „Radlerinitiative“ oder der Gießener Kreisverband des Verkehrsclubs Deutschland (VCD) forderten in den 80ern etwa den Ausbau des Radwegenetzes, gaben Radroutenplaner heraus oder boten mit ironischem Unterton „Auto-Sucht-Beratungen“ an.

Viele der Forderungen konnten in den folgenden Jahren realisiert werden: Radwege wurden gebaut, Verkehrsführungen geändert oder 1994 das Semesterticket für die Gießener Hochschulen eingeführt. Dass der Prozess noch im Gange ist, zeigen die neusten Diskussionen um die Verkehrsberuhigung des Brandplatzes – um nur ein Beispiel zu nennen.

Die Stadt will bis 2035 klimaneutral sein. Dazu soll u.a. der öffentliche Nahverkehr gestärkt und Fahrradstraßen ausgebaut werden. Die Forderungen der Ökologie- und Fahrradbewegung der 80er Jahre sind heute also erklärtes Ziel der Kommunalpolitik.

Plakat von 1980 - Fahrraddemo
Plakat von 1980 - Fahrraddemo

 

Ein abwechslungsreiches Programm, das themenrelevante Orte in der Stadt miteinbezieht, begleitet die Ausstellung. Mehr dazu auch im Flyer:

 


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