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03.05.2022

"Zwischen Sammelwut & Forschungsdrang" - Oberhessisches Museum eröffnet Sonderausstellung

Die Ethnographische Sammlung des Oberhessischen Museums gehört zu den größten und vielfältigsten in Hessen. Auf unterschiedlichen Wegen kamen die Objekte der Sammlung während der Kolonialzeit aus der ganzen Welt nach Gießen. Die Sonderausstellung „Zwischen Sammelwut & Forschungsdrang. Koloniale Kontexte in Gießen“ zeigt die Vielschichtigkeit des Sammelns in dieser Zeit.

  • Laufzeit: 06. Mai 2022 bis 15. Januar 2023
  • Eröffnung: Donnerstag, den 05. Mai 2022, um 19:00 Uhr
  • Ort: Oberhessisches Museum, Altes Schloss,1. OG
  • Öffnungszeiten: Di bis So 10:00 bis 16:00 Uhr, Lange Donnerstage (z.B. 21.07. und 11.08.) bis 19:00 Uhr

Die Ausstellung zeigt die Ergebnisse des Forschungsprojektes zu Objekten aus kolonialen Kontexten, das durch das Deutsche Zentrum Kulturgutverluste gefördert wird. Das Oberhessische Museum beschäftigt sich seit einigen Jahren intensiv mit der eigenen ethnographischen Sammlung. Diese Beschäftigung steht exemplarisch für die bundesweite Entwicklung dieses museumsspezifischen und hochbrisanten Themas.

Nach der im Jahr 2019 gezeigten Ausstellung „Wieso? Weshalb? Warum? Fragen an die Ethnographische Sammlung“ stehen in der jetzigen Ausstellung zwei Sammler im Fokus der Betrachtung: Theodor Koch-Grünberg, dessen Geburtstag sich dieses Jahr zum 150. Mal jährt, sammelte auf seinen Forschungsreisen in Südamerika Objekte. Zur gleichen Zeit nahm der in Hanau geborene Reinhard Houy an Expeditionen in Afrika teil. Seiner Biografie und Sammeltätigkeit wird aktuell im oben genannten Forschungsprojekt zu Objekten aus kolonialen Kontexten nachgegangen.

Aus diesen beiden Anlässen wird in der Ausstellung gezeigt, wie sich die Beweggründe des kolonialen Sammelns stark voneinander unterschieden. So standen sich die beiden Sammler in ihrem Forschungsdrang und ihren Interessen in vielerlei Hinsicht gegenüber und dennoch waren sie durch ihre Netzwerke eng miteinander verbunden.

Während der deutschen Kolonialzeit Ende des 19. und des beginnenden 20. Jahrhunderts wurden Gegenstände aus allen Teilen der Welt in Massen gesammelt. Ferne Länder lösten große Faszination aus und die Ethnologie entwickelte sich als Fachwissenschaft. Für die Sammlungen ethnographischer Objekte wurden in dieser Zeit deutschlandweit ganze Museen errichtet. Die Gießener Sammlung, die 1910 gegründet wurde, ist ein Beispiel von vielen.

Warum wurden Objekte während der Kolonialzeit „gesammelt“ und welche Rolle spielten dabei Handel, Wissenschaft und Gewalt?

Über Jahrzehnte kaum beachtet, sind ethnographische Sammlungen gegenwärtig wieder im Fokus der Forschung und im öffentlichen Interesse, auch in Gießen.

Das Oberhessische Museum erforscht seit November 2020 zusammen mit der Ethnographischen Sammlung der Philipps-Universität Marburg und gemeinsam mit zwei Museen aus Tansania und Kamerun die kolonialen Hintergründe der Ethnographischen Sammlung, macht Forschungslücken sichtbar und versucht sie zu schließen. Einblicke in diese (inter-)nationale Zusammenarbeit zeigen in der Ausstellung, wie diese Forschung in der Praxis aussieht und wie das Oberhessische Museum neue Netzwerke knüpft. Anhand ausgewählter Objekte aus Tansania und Kamerun wird die Herausforderung aufgezeigt, die Herkunft und die Geschichten hinter diesen Objekten zu rekonstruieren. Zu einigen Objekten liegen Informationen wie regionale Herkunft oder ursprüngliche Nutzung und Bedeutung vor, zu anderen wiederum lediglich eine sehr grobe regionale Zuordnung. Viele Angaben sind dabei fehlerhaft und werden im Detail überprüft. Durch diese Rekonstruktion wird deutlich, wie sich Forschung und ihre Schwerpunkte im Laufe der Zeit entwickelt hat und sich in Vergangenheit und Gegenwart voneinander unterscheidet.

Eine große Auswahl an Objekten von Theodor Koch-Grünberg zeigt auch hier, wie verschieden die Forschungsgrundlagen zu den einzelnen Objekten sind: Zu den von ihm gesammelten Gegenständen liegen bereits durch seine eigene detaillierte Beschreibung viele Informationen vor. Und auch durch die umfassende Forschung zu seiner Person ist viel über seine Beweggründe bekannt. Die Forschung zu Reinhard Houy befindet sich jedoch noch ganz am Anfang.

Eine Gemeinsamkeit beider Sammler ist die Tatsache, dass das Sammeln ethnographischer Objekte an sich gar nicht im Fokus ihrer Arbeit stand und dennoch, wenn auch aus unterschiedlichen Gründen, ein großer Bestandteil ihrer Tätigkeit war.

Das Ziel der Ausstellung ist es, ein möglichst umfassendes Bild über die Geschichten der Objekte und der verschiedenen Menschen zu erhalten, die auf unterschiedliche Weise in Vergangenheit und Gegenwart miteinander verbunden sind. Gleichzeitig versucht sie deutlich zu machen, dass viele Fragen bisher nicht abschließend beantwortet werden können und der Arbeitsprozess, in dem sich die Ethnographische Sammlung des Oberhessischen Museums befindet, viele Möglichkeiten offenhält.

Die Ausstellung hebt hervor, dass der gegenwärtige Umgang mit den Objekten Teil ihrer Geschichte ist. Unzählige Geschichten von Gegenständen und ihren ursprünglichen Besitzer*innen wurden jedoch bisher nicht erzählt oder sind in Vergessenheit geraten – bewusst und unbewusst. Neben zwei Museen aus den Herkunftsregionen, Tansania und Kamerun, kommen daher ganz verschiedene Personen und ihre Sichtweisen zu Wort.  Die Ausstellung will deutlich machen, dass erst der Blick aus verschiedenen Perspektiven und Richtungen letztlich ein differenziertes Bild der Objekte ergibt.

Veranstaltungen in der Ausstellung:

Kunstpause mit der Kuratorin Manuela Rochholl
Mi. 25.05.2022, 12:30 Uhr

Öffentliche Konferenz „Colonial Traces: Provenance Research in Giessen and Marburg“
Gemeinsam mit der Ethnographischen Sammlung der Philipps-Universität Marburg
Mo. 16.05.2022 (Gießen) – Di. 17.05.2022 (Marburg)

Kurator*innenführungen mit Manuela Rochholl und Mário Jorge Alves
Do. 09.06.2022, 18:00 Uhr

Vortrag „Objekt(ive) Perspektive“
Die Ethnologin Manuela Rochholl und der Kulturanthropologe Mário Jorge Alves geben Einsichten in die Ethnographische Sammlerwelt des Oberhessischen Museums und verdeutlichen dabei die sehr unterschiedlichen Aneignungsformen von Objekten aus Afrika und Südamerika sowie deren visuelle Vermittlungsformen.
Do. 30.06.2022, 19:00 Uhr

Weitere Angebote für Familien und Kinder im Rahmen der Sonderausstellung im Oberhessischen Museum gibt es unter Oberhessisches Museum und im Halbjahresprogramm:

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