Erleben

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Weigelstraße 3 - Anna Maria Markel

Anna Maria Markel
*02.07.1916 in Gießen-Kleinlinden
eingewiesen 1939 in die Anstalt Gießen; 1941 in die Anstalt Weilmünster
ermordet am 20.03.1943 in der „Heilanstalt" Hadamar
Stolperstein verlegt am 12.02.2009

 

Standort Stolperstein Weigelstraße 3


Anna Marie Markel

Rita Rohrbach, Did. der Geschichte, JLU Gießen

 

Zur Erinnerung an Anna Marie Markel haben wir am 12.02.2009 vor ihrem letzten Wohnort in der Weigelstraße 3 in Gießen Kleinlinden einen Stolperstein legen lassen. Wir denken mit großer Erschütterung an ihr Schicksal und an das unendliche Leid, das sie und viele andere Opfer der so genannten Euthanasiemorde im Nationalsozialismus erfuhren. Der Stein mag eine Mahnung für die Nachgeborenen sein, dass undemokratische und menschenverachtende Maßnahmen keinen Platz mehr in unserer Gesellschaft finden dürfen.

Die Würde des Menschen ist unantastbar.

Anna Marie Markel wurde am 2. Juli 1916 in Gießen - Kleinlinden geboren. Ihre Eltern waren Heinrich Markel, von Beruf Weichensteller, und Marie Markel, geb. Schreiner.

Anna Marie hatte noch vier ältere Geschwister, von denen drei früh verstarben.

Am 16. Juli wurde Anna Marie von Pfarrer Bröckelmann getauft und am 21. April 1930 von Pfarrer Bremmer konfirmiert. Das Konfirmationsbild ist uns erhalten. Anna Marie sieht ernst und traurig aus auf diesem Bild.

Am 26. August 1939 wurde Frau Markel in der Heil- und Pflegeanstalt Gießen (PKH Gießen) aufgenommen, die Gründe dafür sind nicht sicher bekannt.

Wie waren die Zustände zu dieser Zeit in der Anstalt?

Die Heil- und Pflegeanstalt Gießen war zu dieser Zeit ein Zentrum der "Erb- und Rassenpflege". In der Anstalt war auch eine psychiatrische Beobachtungsstation für die Waffen-SS eingerichtet. Die Anstalt war überbelegt. Die Patienten wurden aus Kostengründen vernachlässigt. Die Sterberate war hoch. Die Anstalt wurde zudem als Sammelstelle für Menschen, deren Todesurteil gesprochen war, ausgebaut. Mit Erlass vom 09.10.1939 hatten alle Heil- und Pflegeanstalten die Pflicht, solche Patienten zu melden, die als unheilbar oder nicht mehr als arbeitsfähig galten. Dieses waren zu Anfang Schizophrene, Epileptiker, kriminelle Geisteskranke, Menschen mit Demenz, andere Langzeitkranke und Menschen so genannten artfremden Blutes wie Juden, Sinti und Roma. Aufgrund dieses Erlasses wurde die Akte Markels aus der Heil- und Pflegeanstalt Gießen weitergesandt.

Was geschah danach mit der Akte?

In einer Villa in Berlin in der Tiergartenstraße 4 wurde die 1939 begonnene so genannte Kinder-Euthanasie auch auf Erwachsene ausgeweitet. Minister und leitende Angehörige des Innenministeriums trafen sich mit Ärzten und legten fest, dass 70 000 Patienten aus Anstalten ermordet werden sollten. Das Ziel der T4-Aktion, benannt nach dem Treffpunkt Tiergartenstraße 4: die Ausrottung von Erbkrankheiten und die Kostensenkung von Pflegeanstalten.

Dieser Beschluss von Ministern und Ärzten führte dazu, dass die Akte Frau Markels begutachtet wurde. Sie wurde zuerst an drei Vorgutachter gesandt. Diese lernten die Patientin nicht kennen, konnten sie also nicht untersuchen. Sie entschieden aufgrund der Aktenlage: ein rotes Plus für Vernichtung, ein blaues Minus für Weiterleben, ein Fragezeichen für Unsicherheit. Danach erhielt der Obergutachter die Akte und vermerkte sie mit einem roten Plus.

Der Weg in den Tod

Von Januar bis März 1941 wurden aufgrund der Aktenlage 265 Menschen aus Gießen zur Ermordung nach Hadamar gebracht, darunter auch Anna Marie Markel. Auf dem Weg nach Hadamar wurden diese Menschen zuerst in die Landesheilanstalt nach Weilmünster im Taunus gebracht und blieben dort einige Zeit. Warum? Solche Umwege waren üblich, zum Teil, weil die Tötungsanstalten gerade überlastet waren, zum Teil, um Besucher, die ihre Angehörigen besuchen wollten, sie eventuell auch nach Hause holen wollten, in die Irre zu führen. Der Weg in den Tod sollte vertuscht werden.

Ein Bus, dessen Scheiben mir Ruß zugeschmiert waren, brachte Frau Markel und andere Patienten am 20. März 1941 von Weilmünster nach Hadamar, eine von sechs Tötungsanstalten. Die Menschen, die den Bus durch Hadamar fahren sahen, ahnten, was passieren würde und wandten sich ab.

In einem Schuppen wurde Anna Marie Markel noch einmal kurz begutachtet. Ihr wurden die Kleider genommen und sie wurde zusammen mit anderen in die Gaskeller gebracht. Welche Angst, welche Verzweiflung, welches Grauen sie empfunden haben, können wir Lebenden uns heute nicht vorstellen.

Die Angehörigen erhielten eine Nachricht über Anne Maries Tod, der mit einer fiktiven Krankheit erklärt wurde. Solche Nachrichten mit falschen Todesangaben und -daten waren damals üblich, um Angehörige zu täuschen und eventuelle Nachforschungen zu verhindern. Im Kirchenbuch Kleinlindens ist der 1. April 1941 als "offizielles" Todesdatum eingetragen.

Wie reagierte man damals in Deutschland auf die Morde an psychisch kranken Menschen?

In Hadamar hielten die Menschen die Luft an und hängten ihre Wäsche nicht mehr draußen auf. Sie ahnten und wussten, dass Ermordete in einem Krematorium verbrannt wurden. Es ist bekannt, dass manche Familien versuchten, ihre Angehörigen aus Hadamar herauszuholen, dass dieses aber nur wenigen gelang. Neben einzelnen Privatpersonen protestierten auch Kirchenvertreter wie der Bischof Graf von Galen und Friedrich Bodelschwingh. Die Tötungen wurden nach diesen öffentlichen Protesten für einige Zeit eingestellt. Danach gingen sie jedoch weiter, aber nicht mit Gas, sondern durch die Spritze oder durch Verhungernlassen. Ermordet wurden nach 1941 auch kranke Zwangsarbeiter, so genannte Mischlingskinder, Nervenkranke aufgrund von Bombenangriffen sowie Soldaten, die traumatisiert von der Front kamen.

 

vgl. auch: „Sie dürfen nicht vergessen werden - Aus Linnes stammende von den Nazis Ermordete und Verfolgte“ auf der Website „Die Familiengeschichte von Linnes“ (http://www.giessen-klein-linden.de/).

 

Text: Rita Rohrbach

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