Erleben

Seiteninhalt

Nordanlage - Ricarda-Huch-Schule (vor dem historischen Portal der Ricarda-Huch-Schule) - Margot Adler, Irmgard Rosa Baer, Berta Hildegard Goldschmidt, Ellen Hirschmann, Ellen Jeanette Jacob, Friedel Lotte Kahn, Hildegard Kann, Gertrud Berta Katz, Marianne Margot Rosenbaum, Beate Rubin, Margot Mirjam Salomon, Sonja Sophie Salomon, Esther Stern

Margot Adler
*21.10.1921 in Gießen
deportiert am 11.06.1942 ab Frankfurt
ermordet am 13.06.1942 in Sobibor
Stolperstein verlegt am 26.04.2008

Irmgard Rosa Baer
*02.08.1929 in Gießen
deportiert am 30.09.1942 ab Darmstadt vermutlich nach Treblinka
ermordet vermutlich in Treblinka
Stolperstein verlegt am 26.04.2008

Berta Hildegard Goldschmidt
*15.01.1927 in Gießen
deportiert am 30.09.1942 ab Darmstadt vermutlich nach Treblinka
ermordet vermutlich in Treblinka
Stolperstein verlegt am 26.04.2008

Ellen Hirschmann
*21.11.1925 in Frankfurt
Flucht 1943 von Berlin nach Wien
deportiert 1944 ab Wien nach Auschwitz
ermordet in Auschwitz
Stolperstein verlegt am 26.08.2013

Ellen Jeanette Jacob
*17.10.1925 in Gießen
deportiert am 30.09.1942 ab Darmstadt vermutlich nach Treblinka
ermordet vermutlich in Treblinka
Stolperstein verlegt am 26.04.2008

Friedel Lotte Kahn, verh. Nathan
*02.12.1920 in Lollar, Kreis Gießen
deportiert am 30.09.1942 ab Darmstadt vermutlich nach Treblinka
ermordet vermutlich in Treblinka
Stolperstein verlegt am 26.08.2013

Hildegard Kann
*23.03.1923 in Gießen
deportiert am 27.09.1942 ab Darmstadt nach Theresienstadt
am 27./28.10.1944 nach Auschwitz
ermordet in Auschwitz
Stolperstein verlegt am 26.04.2008

Gertrud Berta Katz
*30.05.1922 in Gießen
deportiert am 30.09.1942 ab Darmstadt vermutlich nach Treblinka
ermordet vermutlich in Treblinka
Stolperstein verlegt am 26.04.2008

Marianne Margot Rosenbaum
*01.04.1922 in Gießen
deportiert am 30.09.1942 ab Darmstadt vermutlich nach Treblinka
ermordet vermutlich in Treblinka
Stolperstein verlegt am 26.04.2008

Beate Rubin
*08.08.1922 in Gießen
deportiert am 04.03.1943 von Berlin nach Auschwitz
ermordet in Auschwitz
Stolperstein verlegt am 26.04.2008

Margot Mirjam Salomon
*19.04.1922 in Gießen
Flucht 1937 nach Luxemburg
deportiert am 10.04.1943 ab Dortmund nach Theresienstadt
ermordet in Auschwitz
Stolperstein verlegt am 26.04.2008

Sonja Sophie Salomon
*18.08.1926 in Gießen
Flucht 1937 nach Luxemburg
deportiert am 10.04.1943 ab Dortmund nach Theresienstadt
ermordet in Auschwitz
Stolperstein verlegt am 26.04.2008

Esther Stern
*01.04.1926 in Gießen
deportiert am 30.09.1942 ab Darmstadt vermutlich nach Treblinka
ermordet vermutlich in Treblinka
Stolperstein verlegt am 26.08.2013

 

Standort Stolpersteine Nordanlage (RHS)


Margot Adler

Margot Adler ist unter den Schülerinnen der Ricarda-Huch-Schule, wohl diejenige, über die wir am meisten Informationen haben. Margot wurde am 21.10.1921 in  Gießen geboren. Ihre Eltern waren Albert Abraham Adler, der als selbständiger Kaufmann tätig war, und Helene Adler, geb. Gutmann                   

Margot hatte eine jüngere Schwester namens Hannelore, die den Holocaust überlebte. Sie war noch als Kind in die Schweiz verschickt worden, wo sie in einem Internat lebte. Schließlich zog sie nach Israel, später unter neuem Vornamen (Aviva) in die USA.                                                               

Von ihr erfuhr Frau Buseck, dass Margots Vater, der im November 1936 verstarb, Opfers eines rassistischen Übergriffs war. Er wurde von Nazis im Bereich des Gießener Bahnhofs verprügelt und verstarb. Sein Grab befindet sich auf dem Neuen Friedhof.

Margot und ihre Mutter mussten von nun an das Leben im nationalsozialistischen Deutschland alleine meistern. Da Margots Mutter, Helene, ursprünglich aus Bad Homburg stammte, gingen die Adlers wieder an diesen Ort zurück. Man zog in das Elternhaus in der Wallstraße (Nr.11), in dem neben den Geschwistern Franziska und Ludwig Gutmann damals viele Juden wohnten.

Margot konnte, wie praktisch alle Juden zu dieser Zeit, zwar keinen ordentlichen Beruf erlernen. Allerdings machte sie (unter anderem) in Frankfurt vom 22. August bis zum 1. November 1938 in der Damenschneiderei Roleff-Walther ein Praktikum. Die lobende Beurteilung Margots besagt, sie „verfügt über eine vorzügliche Auffassungsgabe und zeichnete sich besonders durch außergewöhnliches Geschick, Akkuratesse und Gewissenhaftigkeit“ aus.

Im Jahre 1939 wollten Margot und ihre Mutter nach Palästina auswandern. Die diesbezüglichen Unterlagen in den Akten lassen erkennen, was für Schikanen Juden ausgesetzt waren, wenn sie versuchten, sich dem Nazi-Terror auf diese Weise zu entziehen. Der gesamte Haushalt der kleinen Familie musste bis auf die letzte Kleinigkeit in langen Listen erfasst werden. Diese Listen liegen uns vor. Sie wurden dann der Ausreisebehörde vorgelegt, und man kann noch heute erkennen, dass völlig willkürliche Streichungen vorgenommen wurden, welche Gegenstände die Familie nicht mitnehmen durfte. Die von der Auswandererbehörde gestrichenen Dinge mussten dann der jüdischen Gemeinde (wahrscheinlich für bedürftige Mitglieder) abgegeben werden, die auf diese Weise gezwungenermaßen zu Mittätern der Enteignung der jüdischen Glaubensgeschwister gemacht wurde.

Auf dem Antrag zur Auswanderung vom 29.11.1939 findet sich unter der Frage „Wohin wandern sie aus?“ der handschriftliche Vermerk von Margots Mutter: „Palästina am 5. Dezember“. Mutter und Tochter lebten also in dem Glauben innerhalb einer Woche ein neues Leben in Palästina zu beginnen, zumal auch die Schiffspassage schon bezahlt war. Allerdings war nach Kriegsbeginn im September 1939 für Juden aus Deutschland die Einreise nach Palästina, das unter britischem Protektorat stand, nicht mehr möglich. Es ist schwer vorstellbar, was es für Mutter und Tochter bedeutet haben muss, dass die geplante Auswanderung nicht zustande kam.

Bis zu ihrer Deportation im Juni 1942 von Frankfurt aus wurde Margot nun zu Zwangsarbeit herangezogen. Welcher Art diese Arbeit war, wissen wir nicht.

Mutter und Tochter wurden am 10. bzw. 11. Juni 1942 über Frankfurt in den Osten deportiert und ermordet. Rolf Weinreich konnte mit einer Bad Homburgerin, Frau Rohde, sprechen, die Margot Adler persönlich kannte und sie am Vorabend ihrer Deportation getroffen hatte. Margot wollte ihr ihr Fahrrad verkaufen, da sie dieses ja nicht auf die Reise nach Osten mitnehmen dürfe. Nach Aussage von Frau Rohde war Margot Adler sehr ruhig und gefasst. Sie war sich augenscheinlich der mit der Deportation einhergehenden Gefahr in keiner Weise bewusst. Margot und Helene Adler wurden in Sobibor ermordet.

Im Falle Margot Adler erschüttert den Betrachter aber nicht nur das Schicksal der Adlers selbst, sondern auch die Art und Weise, wie mit diesem Schicksal nach dem Krieg von der Entschädigungsbehörde umgegangen wurde.

So musste im Streit um die Entschädigungssumme an Margots überlebende Schwester Aviva die Frage geklärt werden, ob Margot einen Schaden hinsichtlich ihrer Ausbildung erlitten hat. Die Tatsache, dass Margot Adler im Alter von 14 Jahren die Schule ohne Abschluss verließ, obwohl sie eine ausgezeichnete Schülerin war (ihr letztes Zeugnis bestand nur aus Einsen und Zweien), wird von der Entschädigungsbehörde im Jahr 1969 folgendermaßen kommentiert

„Es besteht der Verdacht, dass die Erblasserin (Margot Adler) nicht wegen der rassischen Verfolgung an einer weiteren Schulausbildung kein Interesse mehr hatte, sondern weil sie eine Ausbildung in einem praktischen Beruf bevorzugte und das Alter von 14/15 Jahren , in dem üblicherweise eine Lehre begonnen wird, erreicht hatte.“

Soweit die amtliche Einschätzung!

Die naheliegende Erklärung, dass Margot um Ostern 1936 die Schule verlassen hat, weil sie, wie ja auch zahllose andere Jüdinnen, den Schikanen gegen die Juden sich auf andere Weise nicht zu entziehen wusste, wird überhaupt nicht in Erwägung gezogen, weil dies für die Behörde teurer geworden wäre.

Weiter wird argumentiert, Margot habe wohl eine Lehre machen wollen, obwohl sie gar keine gemacht und natürlich als Jüdin auch keine hätte machen können. Man kann in diesem Zusammenhang nur von einer beschämenden Verhöhnung des Schicksals von Margot Adler sprechen!

Irmgard Rosa Baer

Rosa Baer wurde am 02.08.1929 geboren. Sie war ein uneheliches Kind, was in den zwanziger und dreißiger Jahren, neben der jüdischen Herkunft, für Rosa sicherlich ein zusätzlicher gesellschaftlicher Makel war. Rosas Beruf wird in der Gießener Personenstandskartei als „Näherin“, angegeben. Sie wohnte mit ihrer Mutter in der Walltorstraße 38, später Walltorstr. 42, einem Ghettohaus.

Als Rosa die Schillerschule, heute Haus B der Ricarda-Huch-Schule, verließ, geschah dies nicht freiwillig. Zusammen mit etlichen anderen jüdischen Schülerinnen wurde sie zwangsweise von der Schule verwiesen. Im Klassenbuch findet sich zu Rosa der Hinweis:

„Austritt am 24.03.1938 laut Anweisung“ sowie „Entlassen am 24.03.1938 laut Verfügung.“ 

Als Ende September 1942 viele Gießener Jüdinnen und Juden zunächst einige Tage in der Goetheschule interniert und später deportiert wurden, gehörte auch Rosa (wie auch noch einige andere ehemalige Schülerinnen dieser Schule) zu den Opfern dieses Verbrechens. Der Gießener Schriftsteller Georg Edward war, weil er in unmittelbarer Nähe zur Goetheschule wohnte, Augenzeuge dieses Geschehens. Er notierte – merklich erschüttert - in seinem Tagebuch folgende Passage:

„Die letzten Juden sind gestern und heute gewaltsam aus Giessen wegtransportiert worden. Sie waren in der Goetheschule in unserer Nähe zusammengepfercht und es war ein erschütternder Anblick für mich, eine Anzahl Freunde darunter zu sehen, denen man Pappdeckel umgehängt hatte, auf denen Zahlen standen. Den unglücklichen Menschen wurde verboten, mehr als ganz wenig Gepäck mitzunehmen und so gut wie kein Geld. Alles Eigentum und Geld war konfisziert worden. Während der letzten zwei Nächte mussten sie auf Stroh in den leeren Schulzimmern schlafen. Sie wurden in Automobilen auf den Frachtbahnhof geschafft, ich war nicht imstande, es mit anzusehen, obwohl ich vom Fenster aus den Schulhof überblicken konnte. Es wurde mir gesagt, die armen Menschen würden nach Polen geschafft, die jüngeren von ihren Eltern getrennt und diese sobald wie möglich umgebracht. Tausende und Abertausende von Juden sollen von den SS-Männern bereits ermordet worden sein, aber man verlangt, das deutsche Volk solle die blutrünstige Bestie anbeten, die Deutschland dem Verderben entgegenführt und die Deutschen zum verhasstesten Volk der Welt macht“.

Rosa Baer wurde am 30. September 1942 über Darmstadt vermutlich nach Treblinka deportiert und ermordet.

Berta Hildegard Goldschmidt

Berta Hildegard Goldschmidt wurde am 15. Januar 1927 in Gießen geboren. Auch sie wurde im Zuge der Deportationswelle im September 1942 nach Treblinka deportiert. Ihr Vater Nathan Goldschmidt war Teilnehmer am 1. Weltkrieg und trug eine Kriegsverletzung davon. Er übte verschiedene Tätigkeiten aus, unter anderem war er Händler und Vertreter bei Fa. Theisebach. Es findet sich aber auch die Berufsbezeichnung „ Fensterputzer“. Zunächst wohnte die Familie in der Kaplansgasse 14 und ab März 1933 in der Bahnhofstraße 58.

Ruths Mutter verstarb im September 1933. Ihr Vater heiratete im Januar 1934 Lina Stern, vermutlich die Schwester seiner verstorbenen Frau.

Sowohl er wie auch Hildegards Stiefmutter starben ebenso wie Hildegard an den Folgen dieser Deportation.

Hildegard hatte zwei Schwestern, Ruth Regina und Helene. Letztere konnte zwar rechtzeitig (1937) zunächst nach Schweden auswandern, fand aber dennoch im Ghetto Piaski den Tod. Ruth Regina fiel ebenso wie Hildegard der Deportation nach Treblinka zum Opfer.

1942 musste die Familie dann in die Liebigstraße 37, ein jüdisches Ghettohaus, umziehen. Hildegards Onkel Daniel fasste 1946 in einem Brief die Situation mit den Worten zusammen: „Bevor Nathan deportiert wurde, putzte er Fenster, um Geld zu verdienen und lebte mit mehreren jüdischen Familien zusammen und sah schrecklich aus. Seine Kinder (also auch Hildegard – Anm. d. Verf.) hatten vor nach England zu gehen, schafften es aber nicht, weil der Krieg schon begonnen hatte.

Im Klassenbuch findet sich zu Hildegard der Hinweis: „Am 24.03. entlassen.“

Auch für Hildegard war es praktisch unmöglich, nach ihrer Ausweisung aus der Schule einen ordentlichen Beruf zu erlernen. So findet sich auch zur ihrer Person in den Unterlagen die Berufsbezeichnung „Hilfsarbeiterin“.

Ellen Hirschmann

Ellen Hirschmann, Tochter von Ludwig und Marie Hirschmann, geb. Wertheimer, wurde am 21.11.1925 in Frankfurt / Main geboren. Sie hatte einen fünf Jahre älteren Bruder. Die Familie zog im Mai 1930 von Frankfurt nach Gießen und wohnte in der Moltkestraße 27. Ellen wurde am 03. April 1932 in die Schillerschule eingeschult, die sie zwei Jahre besuchte. Im September 1934 ging Familie Hirschmann nach Offenbach und vier Jahre später, im September 1938, flüchtete Ellen mit ihren Eltern nach Berlin. Die Familie lebte zunächst in der Kufsteinstraße 9, später in der Hohenstaufenstraße 44.

Ihr Bruder Werner blieb in Offenbach und flüchtete 1938 nach Großbritannien. Während ihre Eltern im Februar 1943 von Berlin nach Auschwitz deportiert wurden, flüchtete Ellen im Frühjahr 1943 nach Wien.

In dem Wiener Stadt- und Landesarchiv findet sich folgende Mitteilung der geheimen Staatspolizei:

„Ellen Sara Hirschmann, geboren am 21.11.1925 in Frankfurt am Main, Hilfsarbeiterin, Staatsangehörigkeit: Deutsches Reich, letzter Wohnort: Berlin - Charlottenburg, Wielandstraße 28, wurde am 26.04.1944 dem KL Auschwitz überstellt.“

Ellen wurde ermordet.

Ellen Jeanette Jacob

Ellen Jeanette Jacob wurde am 17. Oktober 1925 in Gießen geboren. Ihre Eltern waren Theo David Jacob und Clothilde Jacob, geborene Blumenthal. Ellen hatte drei ältere Geschwister. Hannelore, Amalie und Günther. Laut Gedenkbuch des Bundesarchivs wurden neben Ellen auch Günther, seine Frau Julie sowie die beiden Eltern im Zuge der Deportation im September 1942 ermordet. Amalie und Hannelore überlebten den Holocaust. Die Familie wohnte zunächst in der Stephanstr. 28, musste aber später in ein Ghettohaus in der Walltorstraße umziehen.

Ellen wechselte zum Schuljahr 1935/1936 auf das Lyzeum. Wie alle jüdischen Schülerinnen musste sie diese Schule im Frühjahr 1938 verlassen.                       

Im Klassenbuch findet sich der Vermerk: „Am 24.03. laut Verfügung des Stadtschulamtes entlassen.“

In einer eidesstattlichen Erklärung versicherte Ellens Schwester Hannelore nach dem Krieg dazu, Ellen habe die Schule „aus rassistischen Gründen verlassen, zumal sie auch auf dem Schulweg von den Mitschülern geschlagen, angespuckt und mit Judensau betitelt wurde.“                                                                       

Wie viele andere jüdische Kinder besuchte Ellen nun den Unterricht der Jüdischen Bezirksschule,  Frankfurter Straße 103, Bad Nauheim (heute Sophie-Scholl-Schule Wetterau). Sie konnte aber später als Jüdin keinen ordentlichen Beruf mehr erlernen. 1940, Ellen war gerade 15 Jahre alt, ging sie für ein Vierteljahr nach Düsseldorf und machte ein Praktikum in einer Pension in der Sternstraße 14, wo viele Juden verkehrten.

Aus Ellens Akte geht hervor, dass sie sich darum bemühte, nach Amerika auszuwandern und dort als eine Art Au-Pair-Mädchen zu arbeiten. Die Vorbereitungen in dieser Sache waren schon recht weit vorangekommen. Ellen musste sich allerdings noch von einem Arzt für die amerikanischen Behörden bestätigen lassen, dass sie körperlich gesund sei. Die Untersuchung wurde im jüdischen Hospital in Frankfurt in der Gagernstraße durchgeführt, und sie erbrachte nicht das gewünschte Ergebnis. An Ellens Herz wurden Unregelmäßigkeiten festgestellt, die medizinisch nicht richtig eingeordnet werden konnten. Jedenfalls erhielt sie nicht die so dringend benötigte Unbedenklichkeitsbescheinigung für die Vereinigten Staaten. Diese Tatsache machte alle Hoffnungen auf eine Ausreise zunichte, und sicherlich vermag niemand von uns sich vorzustellen, was für eine Katastrophe diese Entwicklung für Ellen und ihre Familie bedeutete, denn alle waren sich der Bedrohung durch Nazideutschland sicher bewusst. Dies erkennt man auch an den weitergehenden Bemühungen von Ellens Eltern, ihre Tochter vielleicht in England oder Holland in Sicherheit zu bringen. Allerdings verliefen auch diese neuerlichen Versuche, Ellen außer Landes zu bringen, erfolglos.

Ellen Jacob wurde schließlich im September 1942 zusammen mit vielen anderen Gießener Juden zunächst einige Tage in das Sammellager in die Goetheschule gebracht, dann nach Darmstadt deportiert und schließlich im Konzentrationslager Treblinka ermordet.

Von einer ehemaligen Mitschülerin von Ellen Jacob wurde uns ein Poesiealbum zur Verfügung gestellt, in dem sich ein Eintrag von Ellen vom 3.2.1938 findet.

Er lautet:

„So wie die Rose blüht, so blühe auch dein Glück. Und wenn du Rosen siehst, dann denk an mich zurück.“

Friedel Lotte Kahn

Friedel Lotte Kahn wurde am 02.12.1920 als Tochter von Eugen und Adele Kahn geb. Reichenberger in Lollar geboren.

Ostern 1931 wechselte Lotte auf die Studienanstalt, heute Ricarda-Huch-Schule, in Gießen. Aus den Klassenbüchern geht hervor, dass Lotte gesundheitlich angeschlagen war. Viele Fehltage waren die Ursache, dass sie am „08.01.1934 krankheitsbedingt von der Schule beurlaubt“ wurde. Weitere Angaben sind in den Unterlagen der Schule nicht zu finden.

Friedel Lotte Kahn lebte im Mai 1942 in Frankfurt/Main, Hanauer Landstraße 12. Als Beruf ist Fabrikarbeiterin angeben, was auf Zwangsarbeit schließen lässt.

Sie heiratete am 13.05.1942 Manfred Nathan aus Mainzlar. Manfred Nathan hatte sich seit 1937 um eine Ausreise in die USA bemüht. Dies gelang ihm nicht, da er die notwendigen Bürgen für die Einreise nicht finden konnte.

Lotte, ihr Mann Nathan und ihre Schwiegereltern wurden am 15.09.1942 von Mainzlar über Gießen nach Darmstadt gebracht, und von dort am 30.09.1942 deportiert, vermutlich nach Treblinka, und ermordet. Ihre Eltern wurden von Lollar laut Deportationsliste am 30.09.1942 nach Polen, vermutlich Treblinka, deportiert und auch ermordet.

2011 wurden in Staufenberg/Ortsteil Mainzlar für Lotte, ihren Mann und die Schwiegereltern Stolpersteine verlegt.

Quellen
Monika Kingreen, Gewaltsam verschleppt aus Oberhessen. Die Deportation der Juden im September 1942 und in den Jahren 1943-1945, in den Mitteilungen des OHG, Band 85, 2000, S. 5-95
B. Wagner, Stadtarchiv Staufenberg,
Stolpersteine gegen das Vergessen, Broschüre zum Projekt der Clemens-Brentano-Europaschule, Lollar/Staufenberg

Hildegard Kann

Den Namen Hilde Kann kennt jeder an der Ricarda-Huch-Schule, denn er wird auf einer Erinnerungstafel im Foyer stellvertretend für alle jüdischen Schülerinnen genannt, die aufgrund der nationalsozialistischen Rassenpolitik die damalige Oberschule für Mädchen verlassen mussten.

Mit den folgenden knappen Worten wird an ihr Schicksal erinnert: „Hilde Kann war bis 1938 Schülerin in diesem Haus, als sie aus rassistischen Gründen gezwungen wurde, aus der Oberschule für Mädchen auszuscheiden. Im September 1942 wurde sie mit ihren Eltern und ihrer jüngeren Schwester deportiert und im Vernichtungslager Auschwitz Birkenau ermordet.“

Hilde Kann wurde am 21. März 1923 in Gießen geboren. Sie wohnte mit ihren Eltern und der 6 Jahre jüngeren Schwester Else (geboren am 1.8.1929) in der Liebigstraße 37. Ihre Eltern Martha, geb. Jacoby, geboren am 20.4. 1890, und Dr. Siegfried Kann, geboren am 4.6.1886, hatten nach dem 1. Weltkrieg geheiratet. Über Hilde Kanns Vater haben wir einige Informationen, denn er war seit 1909 Latein- und Griechisch- Lehrer am Landgraf-Ludwigs-Gymnasium. Dort erinnert eine Gedenktafel im Foyer des Hauses A an ihn und in der Festschrift zum 400. Geburtstag der Schule, die 2005 erschien, ist ihm ein Artikel gewidmet. 1914 hatte Dr. Kann sich als Kriegsfreiwilliger gemeldet und am 1. Weltkrieg teilgenommen, aus dem er mit einer schweren Verwundung, an die eine tiefe Narbe an der Stirn erinnerte, zurückkehrte. Wegen seiner Tapferkeit war ihm das Eiserne Kreuz 1. Klasse verliehen worden.

Im April 1933 wurde Dr. Kann aufgrund des Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums vom 7. April 1933 unverzüglich aus dem Schuldienst entlassen. Er wurde vom Studienrat zum Oberlehrer zurückgestuft und war noch einige Jahre an der jüdischen Bezirksschule in Bad Nauheim, Frankfurter Straße 103 (heute Sophie-Scholl-Schule Wetterau) tätig. Diese Schule wurde nach der Pogromnacht 1938 geschlossen und Dr. Kann wurde mit anderen Juden von der Gießener Stadtverwaltung zu Straßenreinigungsarbeiten eingesetzt, obwohl er gesundheitlich in schlechter Verfassung war.

Hilde Kann musste die Mädchenoberschule, die sie seit dem Schuljahr 1932/33 besucht hatte, aufgrund einer Verordnung des Schulamtes verlassen, die jüdische Kinder vom Besuch staatlicher Schulen ausschloss. In der Klassenliste des Jahres 1938/39 findet sich dazu die Bemerkung „Ausgetreten am 24.9.1938“.

Aus den Zeugnislisten von 1935 bis 1937 geht hervor, dass Hilde Kann als turnwillige, fleißige und ordentliche Schülerin beurteilt wurde. Eine ehemalige Klassenkameradin erinnert sich an sie als „stilles, sehr kluges Mädchen“. „Ich sehe sie, das kluge Mädchen, noch in der ersten Bank sitzen“. Nachdem Hilde Kann die Schule hatte verlassen müssen, sah diese ehemalige Mitschülerin sie noch einmal auf dem Seltersweg, wo sie die Schaufensterscheiben eines großen Geschäftes putzte.

Wahrscheinlich 1941 musste die Familie Kann in das Ghettohaus in der Landgrafenstraße 8 umziehen.

Anfang September 1942 wurde sie zusammen mit allen anderen Juden, die noch in Gießen lebten, in die Goetheschule gebracht und am 17.09.1942 ab Darmstadt in das Konzentrationslager Theresienstadt deportiert. In den Akten findet sich dazu der Vermerk „am 15.11.1942 weggezogen“ und Hilde Kann ist als Arbeiterin eingetragen, was darauf schließen lässt, dass sie, nachdem sie von der Schule verwiesen worden war, Zwangsarbeit leisten musste.

Aus den Unterlagen des Konzentrationslagers Theresienstadt geht hervor, dass Hilde Kann am 27.9.1942 von Darmstadt aus unter der Personennummer 21 mit einem Transport mit der Code-Nummer XVII/1 dorthin deportiert wurde, zusammen mit ihren Eltern, wahrscheinlich auch mit ihrer Schwester, die jedoch nicht erwähnt ist.

Auf einer Zimmerliste aus Theresienstadt ist die junge Frau aufgeführt. Mit ihr waren weitere 48 Personen unter den laufenden Nummern 1151 bis 1200 in einem Raum untergebracht, darunter zwei namens Kann (Wilhelmine Kann-Mayer und Simon Kann), nicht aber ihre Eltern.

Hilde Kanns Vater überlebte Theresienstadt nicht, er starb nach einem halben Jahr am 19.2.1943 wahrscheinlich an Unterernährung und Entkräftung. Ihre Mutter wurde zwei Wochen vor der Tochter am 12.10 1944 nach Auschwitz deportiert und ermordet.

Hilde Kann wurde am 27. oder 28.10.1944 nach Auschwitz transportiert (Code EV, Personennummer 829) und dort ermordet. Sie war 21 Jahre alt.

Gertrud Berta Katz

Gertrud Berta Katz wurde am 30.05.1922 in Gießen geboren. Sie war die Tochter von Benjamin Katz und Cornelie Katz, geb. Kugelmann. Der Vater hatte seit 1920 ein Schneidergewerbe angemeldet. Die Familie lebte zunächst in der Stephanstr. 43, dann Alicenstraße 30 in einer 41/2-Zimmer-Wohnung, von der ein Zimmer für die Schneiderei verwendet wurde. Schließlich wurde die Familie Katz gezwungen, in das jüdische Ghettohaus in der Walltorstr. 42 umzuziehen.

Gertrud war das einzige Kind ihrer Eltern. Sie wurde Ostern 1929 in die Schillerschule eingeschult und wechselte zum Schuljahr 1933/34 auf das Lyzeum. Im Herbst 1933 verließ sie das Lyzeum.

Im Klassenbuch findet sich zu ihr lediglich der Hinweis: „Ausgetreten Herbst ´33“.

Als Beruf für Gertrud Katz wird später „Lernschwester“ angegeben.

Gertrud wurde zusammen mit vielen anderen Gießener Juden am 30. September nach Polen deportiert. Ihre Spur verliert sich hier. Ihr Vater starb noch in Gießen, wenige Tage bevor der Deportationszug, der seine Tochter das Leben kosten sollte, Gießen verließ. Zu Gertruds Mutter gibt es widersprüchliche Angaben, was den Zeitpunkt der Deportation anbelangt. Laut Gedenkbuch des Bundesarchivs (und OGG) wurde sie zusammen mit ihrer Tochter am 30. September nach Polen gebracht, allerdings wird in einem Schreiben der Stadt Gießen aus dem Jahr 1965 als Zeitpunkt der Deportation bei Cornelie Katz der 01.12.1942 genannt.

Margot Marianne Rosenbaum

Margot Marianne Rosenbaum besuchte unsere Schule bis 1938. Laut der erhaltenen Zeugnislisten war sie eine turnwillige, eifrige und strebsame Schülerin. Marianne Rosenbaum war am 01.04.1922 in Gießen zur Welt gekommen. Ihre Eltern Isidor und Dora Rosenbaum, geborene Sternberg, (geboren 1887 bzw. 1891) stammten aus Gießen und aus Weilburg an der Lahn. Sie hatten 1914 geheiratet.

Während Marianne Rosenbaum in den ersten Jahren noch von der Liebigstraße 33 aus zur Schule ging, verkürzte sich 1934 ihr Schulweg mit dem Umzug an die Westanlage, oder - wie diese Straße nach der Umbenennung durch die Nationalsozialisten hieß – an den Horst-Wessel-Wall. Das Mehrfamilienhaus Nummer 46, das der Familie gehörte, und in dem sie bis 1940 lebte, steht heute noch. Es ist das rote Backsteinhaus direkt neben dem Parkhaus Schanzenstraße.

Außer Marianne Rosenbaum wohnten hier ihre Eltern Dora und Isidor Rosenbaum, für kurze Zeit ihre sechs Jahre ältere Schwester Alice (geboren 29.9.1916) und die Großmutter Helene Rosenbaum, geb. Flörsheim.

Die Familie war sehr angesehen und wohlhabend. Mariannes Vater hatte zusammen mit seinem Bruder ein großes Vermögen durch einen Getreide Import und Export Großhandel erworben. Die Firma Samuel Rosenbaum und Söhne handelte mit Agrarprodukten, Getreide, Mehl und Futtermitteln. Die Geschäfte kamen jedoch schon kurz nach 1933 auf Grund der Boykottmaßnahmen gegen die Juden fast völlig zum Erliegen. Um sich vor schlechten Zeiten zu schützen, hatte Isidor Rosenbaum sein Geld auf vielfältige Art und Weise angelegt, unter anderem in Wertpapieren, Edelmetallen und -steinen. Dieser gesamte Besitz wurde der Familie ebenso geraubt wie ihre wertvolle Wohnungsausstattung und der Schmuck. Das Auto der Familie, ein fast neuer Mercedes Benz, wurde von der Gestapo beschlagnahmt.

Obwohl aus den Akten lediglich zu ersehen ist, dass der Bruder von Isidor Rosenbaum, Willi, am 9. November 1938 verhaftet wurde, ist anzunehmen, dass es Mariannes Vater ebenso erging. Willi Rosenbaum hatte zu diesem Zeitpunkt Schmuckgegenstände im Wert von 5000,- RM bei sich. Sie wurden ihm bei seiner Verhaftung abgenommen und sind nie wieder aufgetaucht.

Nachdem Marianne Rosenbaum die Schule 1938 hatte verlassen müssen, ging sie nach Frankfurt. Aus den Unterlagen des dortigen Stadtarchivs ist zu ersehen, dass sie seit dem 18.12.1939 dort lebte. Zunächst wohnte sie im jüdischen Schwesternheim in der Bornheimer Landwehr 85 und seit dem 19.11.1940 im Krankenhaus der jüdischen Gemeinde in der Gagernstraße 36. Ihre Eltern zahlten für ihre Ausbildung als Lernschwester, die sie mit dem Abschluss einer staatlich anerkannten Krankenschwester beendete.

Marianne folgte damit dem Beispiel ihrer älteren Schwester Alice. Diese hatte nach dem Besuch der Handelsschule zunächst im elterlichen Geschäft gearbeitet. Als es geschlossen werden musste, ging sie 1935 nach Berlin, wo sie im Jüdischen Krankenhaus in der Elsasserstraße 85 als Krankenschwester arbeitete. Sie konnte im Mai 1938 von Hamburg aus per Schiff nach New York auswandern. Sie überlebte den Holocaust ebenso wie ihr Onkel Willi Rosenbaum, der 1938 nach Australien entkam.

Während Marianne in Frankfurt lebte und arbeitete, mussten ihre Eltern im Sommer 1940 die Wohnung in der Westanlage aufgeben. Das Haus hatten sie bereits 1937 verkaufen müssen. Im Zuge der ersten Zusammenlegung der Juden wurden sie gezwungen, in die Liebigstraße in das Haus der Familie Sternberg, die emigriert war, umzuziehen. Die gesamte Einrichtung wurde aus der Westanlage mitgenommen, konnte aber aus Platzmangel nicht wieder aufgestellt werden und wurde in einem Raum der Wohnung untergebracht. Nach und nach musste in den folgenden beiden Jahren der gesamte Besitz abgeliefert werden entsprechend der nationalsozialistischen Verfügungen zur Enteignung der Juden. Verkauf von Hab und Gut war nicht erlaubt. Die Einrichtung wurde versteigert oder von der Gestapo abtransportiert. Ein großer Koffer mit Wäsche im Werte von über 2000,- RM wurde einem Nachbarn zur Aufbewahrung überlassen und nie zurückgegeben.

Nachdem den jüdischen Familien in weiteren Zwangsmaßnahmen Räume in so genannten Ghettohäusern zugewiesen worden waren, mussten Rosenbaums wie viele andere in die Walltorstraße 48 umziehen, wo ihnen als Ehepaar mit Kindern zwei Zimmer und Küchenmitbenutzung zustanden. Außerdem hatten sie einen kleinen Büroraum zur Verfügung, der Isidor Rosenbaum vermutlich in seiner Funktion als Vorsitzender der jüdischen Gemeinde zustand.                     

Nach der Zerstörung der Synagoge und des Gemeindehauses an der Südanlage in der Pogromnacht 1938 war das Gemeindebüro in seine Privatwohnung verlegt worden.

Die ältere Tochter der Rosenbaums, Alice, versuchte im amerikanischen Exil zwei Mal vergeblich, die Ausreise ihrer Eltern und ihrer Schwester in die USA zu organisieren. 1939 konnte sie Durchreisevisa für Kuba besorgen. Ihrer Familie gelang es jedoch nicht, Deutschland zu verlassen. Erhalten ist dazu ein Brief an Isidor Rosenbaum von einem unbekannten Verfasser B. (vom 01.06.1939), in dem dieser tröstend über den Verlust des Geldes und den Aufschub der Reise schreibt. Er berichtet, dass mehrere Schiffe mit jüdischen Flüchtlingen vor Kuba lägen und an der Anlandung gehindert würden. Es drohe die Rücksendung der Menschen nach Deutschland. Auch die St. Louis liege mit 900 Menschen an Bord im Hafen von Havanna. Sie alle hätten dieselbe Einwanderungserlaubnis wie die Familie Rosenbaum. B. schildert unbeschreibliche Zustände an Bord und meint wörtlich „Bleiben Sie schön auf der Warteliste und warten Sie ab.“

1941 buchte und bezahlte Alice Rosenbaum mit Unterstützung ihres ebenfalls emigrierten Onkels Dr. Adolph Sternberg Schiffspassagen für ihre Angehörigen nach Uruguay bei der Hamburg-Amerika-Linie, jedoch wieder vergeblich. Die Ausreise war nicht mehr möglich.

Das Schicksal der Familie Rosenbaum ist ein Musterbeispiel für die Ausplünderung der Juden und für den Zynismus, mit dem sie betrieben wurde. Aktien der Firma Samuel Rosenbaum und Söhne, die in einem Depot bei der Dresdener Bank lagerten, wurden an die Preußische Staatsbank Berlin für, so heißt es in den Unterlagen „Sühneleistungen für die Familie Rosenbaum“ abgeliefert. Ebenso bietet ihre Geschichte Einblick in die Schwierigkeiten, denen sich Überlebende gegenüber sahen, die nach dem Krieg versuchten, geraubtes Eigentum zurück zu bekommen oder Entschädigungszahlungen zu erhalten. Wie die Akten im Hauptstaatsarchiv in Wiesbaden zeigen, kämpfte Alice Hirsch, die überlebende Schwester von Marianne, nach dem Krieg von den USA aus in mehreren langwierigen Entschädigungs- und Rückerstattungsverfahren bis in der 60er Jahre um einen Ausgleich für die enteigneten Vermögenswerte ihrer Eltern. In einem Verfahren geht es um den Verkauf eines Grundstücks in Wieseck an die Stadt Gießen noch durch Isidor Rosenbaum im Jahr 1939. Der vereinbarte Kaufbetrag wurde erst nach einem Rückerstattungsverfahren in den 50er Jahren an Alice Hirsch ausbezahlt.

Marianne Rosenbaum kehrte im September 1942 von Frankfurt nach Gießen zurück. Sie wurde über Darmstadt (vermutlich) nach Treblinka deportiert. Über ihr weiteres Schicksal gibt es keine Informationen. Sie wurde für tot erklärt.

Berta Rubin

Beate Rubin wurde am 08.08.1922 als Tochter von David und Olga Rubin in Gießen geboren. Die Familie wohnte in der Roonstraße 18. Beate wurde Ostern 1929 in der Schillerschule eingeschult und wechselte zum Schuljahr 1933/ 34 auf das Lyzeum in der Dammstraße.

Ostern 1936 trat Beate aus der Schule aus.

Mitte Mai 1936 zog die Familie nach Pirmasens. Aus dem Stadtarchiv Pirmasens liegen uns Bilder von der ganzen Familie vor, die im Zuge der Ausfertigung einer Kennkarte (eine Art Personalausweis) angefertigt wurden. Bemerkenswert hier: Nur Juden wurden im Vorfeld der Ausfertigung dieser Kennkarte die Fingerabdrücke abgenommen.

Beate konnte in Pirmasens nur noch eine provisorische jüdische Behelfsschule besuchen. Wir haben Unterlagen darüber, dass sie 1937 auf einer Abschlussfeier in der Synagoge in Pirmasens Verse aus einem Gefallenen-Gedenkbuch aufsagte.

Beates Eltern wurden am 23. Juli 1942 nach Theresienstadt deportiert. Beate begleitete ihre Eltern nicht dorthin. Sie war in Berlin als Zwangsarbeiterin eingesetzt und arbeitete seit dem 15.5.1941 bei Siemens Schuckertwerke AG als Wicklerin. Sie wohnte zunächst in der Bamberger Straße 29, später bei der jüdischen Familie Meyer in der Bamberger Str. 37 in Berlin / Wilmersdorf.

Beates Mutter verstarb am 03.04.1944 in Theresienstadt. Ihr Vater wurde am 09.10.1944 nach Ausschwitz gebracht und ermordet. Von Berlin Moabit aus wurde Beate am 04.03.1943 im Alter von 21 Jahren ebenfalls nach Auschwitz gebracht und ermordet.

Sonja Sophie Salomon

Sonja Sophie Salomon wurde  am 18. August 1926 in Gießen geboren. Ihre Eltern waren Leo und Lina Salomon, geborene Hertz. Aus den Unterlagen des Staatsarchivs Wiesbaden geht hervor, dass Leo Salomon, der 1921 aus Köln nach Gießen zugezogen war, Mitinhaber der Firma Sonn und Hertz, einer zunächst gut gehenden Mineralölgroßhandlung war.                                                                      

Die Familie wohnte nach mehreren Umzügen in der Stadt in der Molktestraße 20. Sie gehörte der orthodoxen jüdischen Gemeinde an. Sonja wurde zum Schuljahr 1933/1934 an Ostern in der Pestalozzischule eingeschult.

In dieser Zeit war es üblich, dass ganze Klassen aus Platzgründen mit ihrem Lehrer die Schule wechselten. So wechselte Sonja mit ihrer Klasse auf die Schillerschule und verließ diese am 03.07.1937.

Eine ehemalige Klassenkameradin beschrieb Sonja als ein großes, hübsches Mädchen mit hellblonden Haaren.

Aufgrund der Repressalien emigrierte die Familie 1937 in die Heimat der Mutter nach Ettelbrück, Luxemburg.

Die Flucht nach Luxemburg brachte der Familie nicht mehr als eine Atempause. 1940 fielen deutsche Truppen in Luxemburg ein, und so wurden die Salomons wiederum Opfer der nationalsozialistischen Verfolgung.

Die Familie wurde am 10.04.1943 über Dortmund nach Theresienstadt deportiert. Es liegt eine auf den 06.09.1943 datierte und mit „Arbeitseinsatz“ überschriebene Liste aus dem Konzentrationslager vor. Darauf finden sich Leo, Lina und Margot Salomon. Der Vater wurde als „Arbeiter“ eingesetzt. Bei seiner Frau Lina und Tochter Margot ist der Vermerk „Haushalt“. “Salomon, Sonja Arbeiterin 18.07.1886” ist vermutlich die Tochter, das Geburtsjahr wahrscheinlich ein Tippfehler. Informationen aus der Gedenkstätte Auschwitz zufolge sind die Eltern mit den beiden Töchtern „auf der Transportliste Dl-Dm vom 06.09.1943 der aus dem Ghetto Theresienstadt nach dem KL (Konzentrationslager) Auschwitz deportierten Juden verzeichnet“. In Auschwitz angelangt wurde die gesamte Familie ermordet. Leo, Lina, Margot und Sonja Salomon wurden nach dem Krieg vom Amtsgericht Gießen für tot erklärt. Als Todeszeitpunkt wurde der 08.05.1945 festgesetzt.

Margot Mirjam Salomon

Margot Mirjam Salomon wurde am 19.04.1922 in Gießen geboren. Ihre Eltern waren Leo und Lina Salomon, geb. Hertz. Der Vater war Mitinhaber der Firma Sonn & Hertz, einer Mineralölgroßhandlung.

Die Eltern kamen 1921 von Köln nach Gießen und wohnten nach mehreren Umzügen in der Stadt in der Moltkestraße 20. Die Familie gehörte der orthodoxen jüdischen Gemeinde an.

Margot wurde Ostern 1928 eingeschult und wechselte zum Schuljahr 1932/1933 auf das Lyzeum, heutige Ricarda-Huch-Schule Gießen, Ostern 1936 meldeten die Eltern die Schülerin ab. Aus den Unterlagen ist zu erkennen, dass die Schülerin sich in der Schule nicht wohl fühlte und unter der Situation gelitten hat. Bemerkungen und Beurteilungen in den Unterlagen, lassen diesen Schluss zu, da diese in beleidigender Form ausgedrückt wurden.

Aufgrund der Repressalien emigrierte die Familie 1937 in die Heimat der Mutter nach Ettelbrück, Luxemburg.

Die Flucht nach Luxemburg brachte der Familie nicht mehr als eine Atempause. 1940 fielen deutsche Truppen in Luxemburg ein, und so wurden die Salomons wiederum Opfer der nationalsozialistischen Verfolgung.                                                                                                           

Die Familie wurde am 10.04.1943 über Dortmund nach Theresienstadt deportiert. Es liegt eine auf den 06.09.1943 datierte und mit „Arbeitseinsatz“ überschriebene Liste aus dem Konzentrationslager vor. Darauf finden sich Leo, Lina und Margot Salomon. Bei Lina Salomon und ihrer Tochter Margot ist die Eintragung „Haushalt“. “Salomon, Sonja Arbeiterin 18.07.1886” ist vermutlich die Schwester, das Geburtsjahr wahrscheinlich ein Tippfehler. Informationen aus der Gedenkstätte Auschwitz zufolge sind die Eltern mit den beiden Töchtern „auf der Transportliste Dl-Dm vom 06.09.1943 der aus dem Ghetto Theresienstadt nach dem KL (Konzentrationslager) Auschwitz deportierten Juden verzeichnet“. In Auschwitz angelangt wurde die gesamte Familie ermordet. Leo, Lina, Margot und Sonja Salomon wurden nach dem Krieg vom Amtsgericht Gießen für tot erklärt. Als Todeszeitpunkt wurde der 08.05.1945 festgesetzt.

Esther Stern

Esther Stern wurde am 01.04.1926 in Gießen geboren als Tochter von Julius und Claire Stern, geborene Thalheimer.

Vater Julius heiratete in 1. Ehe Johanna Rosalie Kaminka. Die Eheleute wohnten zunächst in der Steinstraße 19 und zogen 1922 in das Haus am Marktplatz (Nr. 11) um, vielen Gießenern als das Kaminka’sche Haus bekannt. Aus dieser Ehe gingen zwei Kinder hervor, Helmut, geb. am 15.06.1921, und Dora Bella Sonja, geb. am 19.06.1922. Die Familie gehörte der orthodoxen jüdischen Gemeinde mit der Synagoge in der Steinstraße an. Die Mutter verstarb am 15.06.1923 und ist in Gießen auf dem Neuen Friedhof, in der jüdischen Abteilung in unmittelbarer Nähe der jüdischen Friedhofskapelle, begraben  

Der Vater heiratete am 24.12.1924 Claire Thalheimer. Ihnen wurde am 01.04.1926 eine Tochter geboren, die den Namen Esther erhielt. Die Familie lebte weiterhin am Marktplatz und die Kinder genossen das Leben in der Großfamilie.

Esther wurde am 12.04.1932 in der Schillerschule (Volksschule) eingeschult. Sie war eine aufgeweckte Schülerin mit guten Leistungen.

Ihre überlebenden Geschwister erinnern sich an Esther als ein kleines fröhliches, aufgeschlossenes und glückliches Mädchen. Im Oktober 1933 musste die Familie aus dem Haus am Marktplatz ausziehen und fand eine Wohnung in der Löberstraße 20 bei Familie Rosenberger. Diese jüdische Familie nahm Familie Stern auf, um mit den Mieteinnahmen eine Einnahme zum Lebensunterhalt zu haben. Am 01.02.1935 musste die Familie in das Ghettohaus Walltorstraße 48 ziehen.

Am 24.03.1938 musste Esther, wie viele andere jüdische Schülerinnen und Schüler in Gießen, die Schule laut Verfügung des Stadtschulamtes verlassen. Bemerkung im Klassenbuch: „Am 24.III. laut Verfügung des Stadtschulamtes entlassen.“ Zunächst wurde von der jüdischen Gemeinde eine Behelfsschule im Gemeindehaus der Synagoge in der Südanlage eingerichtet. Hier wurden die jüngeren jüdischen Kinder unterrichtet. Bei der Zerstörung der Synagoge in der Reichspogromnacht wurde auch das Gemeindehaus zerstört, so dass Unterrichtsräume nicht mehr zur Verfügung standen. Der Schülerin wurde somit jegliche Möglichkeit genommen, ihre Schulausbildung mit einem Abschluss zu beenden.

Aus der Steuerkarte vom 30.11.1940 geht hervor, dass Esther als Arbeiterin in der Gummifabrik Poppe eingesetzt war. Sie war zu diesem Zeitpunkt 14 Jahre alt.

Die Lebensbedingungen für die Familie, die noch die Tante Jettchen Stern aufgenommen hatte, wurden immer schlechter. Immer wieder baten die Eltern in Briefen ihre Kinder Helmut und Sonja in Palästina um Hilfe zur Ausreise und forderten sie auf, alle Familienmitglieder, die schon im Ausland waren, in diese Bemühungen einzubinden.

Am 16.12.1938 schrieb Claire Stern ihrem Sohn Helmut nach Palästina, dass sie, Tante Jettchen, Esther und sie selbst, gesund seien, und dass sie dies auch vom Vater hoffe, der noch nicht von seiner Reise zurück sei. Damit umschrieb sie den Aufenthalt des Vaters im Konzentrationslager, in das er nach seiner Verhaftung in der Pogromnacht gebracht worden war. Aus den Briefen spricht die Verzweiflung der Mutter. Eine Ausreise in die USA war nicht möglich, da die Wartenummer der Familie sehr hoch war. Sie hoffte, dass die Familie Sonneborn in Baltimore, weitläufige Verwandte, helfen könnte. Helmut sollte die Familie anschreiben und um Hilfe bitten.

Eine Ausreise der kleinen Tochter Esther mit einem Kindertransport wird in Erwägung gezogen, die Möglichkeit einer Schülereinwanderung nach Frankreich zerschlägt sich aber.

Helmut schrieb am 3.01.1939 an die Familie Sonneborn und bat um Hilfe. Die entfernten Verwandten antworten, dass es ihnen nicht möglich sei, 1000 $ aufzubringen, da sie schon Anfragen von über 100 Verwandten und engen Freunden hätten. So erreichten die Kinder in Palästina immer verzweifeltere Briefe der Eltern, denen sie aber keine Hilfe zur Ausreise bieten konnten.

1940 verstarb Tante Jettchen, deren Grab auf dem Neuen Friedhof ist. Am 14.09.1942 wurde Esther mit ihren Eltern und allen anderen Juden, die zu dieser Zeit noch in Gießen lebten, in die Goetheschule gebracht. Die Familie konnte unter Aufsicht nur das Nötigste in einen Rucksack und einen Koffer einpacken. Zwei Tage später wurde die Gruppe nach Darmstadt deportiert und am 30. September wurde Esther mit ihren Eltern von hier aus in das Generalgouvernement (Polen) deportiert.

Auf der Steuerkarte findet sich der Vermerk: „verzogen am 01.11.1942 nach unbekannt“.

Der Tag und der Ort ihrer Ermordung sind nicht bekannt.

Am 08.05.1945 wurde Esther für tot erklärt.

 

Texte: Trialogteam Ricarda-Huch-Schule

 

Newsletter

Bestellen Sie sich hier den Newsletter und bleiben Sie immer auf dem Laufenden.